Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Entente Cordiale — Marotko — Hull — Kiel. 241 
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die Tatsache der Gleichzeitigkeit jener Vorschläge in einem Augenblicke 
hoher internationaler Spannung mußte zu denken geben. 
Der Herbst 1904 wurde für die Entwicklung der englisch-deutschen 
Beziehungen überhaupt bemerkenswert als der Beginn einer neuen 
Phase: damals zuerst begann man, öffentlich Deutschland als den Feind 
zu bezeichnen, als den Feind, der darauf ausgehe, durch Steigerung 
seiner Seerüstung und durch Konspirationen mit anderen Mächten, 
vornehmlich mit Rußland, Mittel zur Untergrabung der britischen 
Weltstellung zu gewinnen. Ein unbegrenztes Mißtrauen der britischen 
Bevölkerung begleitete jede Handlung oder Unterlassung der deutschen 
Politik. Die Gebundenheit Rußlands durch seinen ostasiatischen Krieg war 
englischerseits zur — freilich schon vor dem Kriege begonnenen — Tibet- 
expedition des Majors Vounghusband benutzt worden. Schließlich kam 
ein Abkommen zwischen Großbritannien und der chinesischen Regierung 
über Tibet zustande. In England wurde durch die „Times“ und andere 
Blätter behauptet, daß man deutscherseits versucht habe, in Peking gegen 
das Zustandekommen dieses Vertrages zu intrigieren. Der Deutsche Reiche- 
kanzler stellte hierauf öffentlich fest, die deutsche Intrige hätte nur darin 
bestanden, daß der deutsche Gesandte in Peking beim dortigen Auswär- 
tigen Amte anfragte, ob der in einer Pekinger Zeitschrift veröffentlichte 
Wortlaut des britisch-chinesischen Tibetvertrages authentisch sei oder 
nicht. Der Gesandte habe gleichzeitig bemerkt, daß das Deutsche Reich 
an jenem Abkommen kein Interesse nehme. Die britische Presse igno- 
rierte diese Erklärungen des Kanzlers, auch als er die Behauptung einer 
deutschen Intrige im Reichstage als eine Lüge bezeichnete, und fuhr 
fort, Deutschland als diejenige Macht zu bezeichnen, welche sich Groß- 
britannien überall feindselig und böswillig entgegenzustellen versuche. 
Als weiteres sehr wirksames Hetzmittel gegen Deutschland diente zur 
gleichen Zeit die Behauptung: Deutschland versuche Zwietracht zu säen 
zwischen Großbritannien und Frankreich. Man ging dabei von dem In- 
teresse aus, welches Deutschland an einer Sprengung jenes Verhältnisses 
haben würde. Tatsächlich gab es wohl keinen ungünstigeren Moment 
zu Sprengversuchen dieser Art als gerade das Jahr 1904, wo das bri- 
tisch-französische Berhältnis eben zu hoher gegenseitiger Befriedigung 
eingegangen worden war. Hatte die deutsche Politik das Zustandekommen 
der Entente Cordiale nicht hindern können, so wäre es eine doch etwas 
unwahrscheinliche Torheit gewesen, ihre Sprengung unmittelbar nach- 
her für möglich zu halten, und gar angesichts des vollzogenen grund- 
sätJzlichen Frontwechsels der großbritannischen Politik. 
Im Sommer 1904 war König Eduard zu den Segelregatten der 
Kieler Woche nach Kiel gekommen. Zwischen ihm und dem Deutschen 
Graf Reventlow, ODeutschlande auswärtige Pollttk. 16
	        
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