Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Zur Einführung. XXVII 
  
und bedrohlich erschien. Biemarck war sich ebenfalle darüber klar, daß die 
politische Gruppierung in Europa, wie er sich auedrückte, die strategische 
Stellung sei, die von Zeit zu Zeit eingenommen oder aufsgegeben 
würde. Er war sich der Wandelbarkeit aller dieser Dinge und Berhält- 
nisse bewußt. Er wird auch nicht geglaubt haben, mit dem Dreibunde 
einerseits, der russischen Rückversicherung anderseits, eine ewige Garantie 
erzielt zu haben. Die wachsende russische Feindschaft Deutschland gegen- 
über war ihm bekannt, und ebenfalls war es die wachsende russisch-fran- 
zösische Annäherung. Das konnte für einen Staatsmann aber kein Grund 
sein, nunmehr die Flinte ins Korn zu werfen und den politischen Bruch 
mit Rußland zu vollziehen, sondern hätte das Gegenteil zur Folge haben 
müssen. Bismarck hat die N#ichterneuerung des Rückversicherungsvertrages 
auch stets als schwersten Fehler des neuen Kurses bezeichnet. Caprivi 
wollte das Deutsche Reich anstatt dessen auf England stützen. Frankreich 
und Rußland vereinigten sich, die großbritannische Politik bemächtigte sich 
des isolierten Deutschlands, und nach wenigen Zahren zeigte sich die Wahr- 
beit des Bismarckischen Ausspruches: der Deutsche Kaiser werde ja in 
seinen Hoffnungen auf England schwer enttäuscht werden. Es folgten der 
Sturz Caprivis und der dann mit Hohenlohe cinsetzende Versuch, die 
Beziehungen zu Rußland wieder anzuknüpfen und auch zu Frankreich 
in ein besseres BVerhältnis zu gelangen. Die Verstimmung zwischen Groß- 
britannien und dem Deutschen Reiche wuchs, während das Deutsche Reich 
mit den beiden benachbarten Festlandgroßmächten sein Ziel ebensowenig 
erreichte. Die Borbedingungen für die deutsche Einkreisung waren somit 
geschaffen, es fehlte nur noch die Berbindung zwischen Großbritannien 
mit Frankreich einerseits, mit Rußland anderseits. Vorher versuchte Groß- 
britannien noch einmal, um die Zahrhundertwende und nachher, das 
Deutsche Reich zu einem engeren Anschlusse zu gewinnen, um den Preis 
natürlich der deutschen Unabhängigkeit und um den der deutschen Flotte. 
Fürst Bülow erkannte die Gefahr und lehnte ab, und nun erfolgt in den 
kommenden Zahren die Bildung der Entente Cordiale, die dann nach 
dem Russisch-Japanischen Kriege durch den russischen Anschluß ergänzt und 
gestärkt wird. Die Bildung der Entente Cordiale im Jahre 1904 ist als 
Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung und als die zweite große 
Etappe zum beutigen Weltkriege anzusehen. Die Entente Cordiale, der 
Zusammenschluß Großbritanniens und Frankreichs bei unbestrittener bri- 
tischer Bormundschaft bedeutete gleichzeitig die Beilegung einer Jahr- 
bunderte alten Gegnerschaft, berbeigeführt durch freiwillige Unter- 
werfung Frankreichs. Die Entente Cordiale war eine politische Folgerung 
aus der Nichterneuerung des deutsch-russischen Rückversicherungsvertrages 
nach Beseitigung des Hindernisses der vorher bestehenden britisch-fran-
	        
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