Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

250 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
Anzahl großer und kleiner Kreuzer von der Gesetzesvorlage 1900 ge- 
strichen, und der Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts erklärt, er könne 
zwar auf diese Schiffe nicht verzichten, wohl aber ihren Baubeginn bis 
zum Jahre 1906 vertagen. DOieser Termin war nun herangekommen. 
Im Herbst des Jahres wurde die Forderung eingebracht zugleich mit 
einer Vermehrung der Torpedobootsflotte und mit dem Beginn des 
Baues von Unterseebooten. Angleich größer aber als die Bedeutung 
dieser gewiß wichtigen Neuforderungen war die Tragweite der Forderung 
der Marineverwaltung, daß in Zukunft alle neu zu bauenden Schiffe 
denen gleichalteriger Klassen anderer Nationen ebenbürtig zu sein hätten. 
Licht nur die deutsche Marineverwaltung, sondern das ganze deutsche 
Volk stand damals — im Sinne des Wortes — am Scheidewege. Es 
handelte sich um nichts Geringeres als um die Frage, ob Deutschland auf 
eine von vornherein zur qualitativen Minderwertigkeit verurteilte Flotte 
sich beschränken oder bei gewaltig vermehrten und steigenden Kosten 
eine Flotte aufbauen wollte, die zwar, dem ursprünglichen Plane des 
Flottengesetzes entsprechend, immer beträchtlich kleiner bleiben mußte 
als die englische, deren Schiffsmaterial aber dem aller anderen Flotten, 
auch der englischen, gleichwertig sein würde. Akademisch betrachtet, er- 
scheint diese Frage sehr einfach. In der Praxis war sie es nicht, und zwar 
aus Gründen verschiedener Natur. Zunächst steigerten sich die Kosten 
um ein volles Orittel für jedes große Panzerschiff und sollten während 
der dann folgenden Fahre in schnellem Tempo weiterwachsen. Inner- 
halb des Jahrzehntes von 1904 bis 1914 haben sich die Kosten pro Schiff 
ungefähr verdoppelt. Die Bergrößerung der Schiffe brachte eine neue 
und starke Erweiterung beinahe aller für große Schiffe in Betracht kom- 
menden Hafen- und Werfteinrichtungen mit sich; der Nordostseekanal 
mußte mit Kosten von mehreren hundert Millionen Mark erweitert, ver- 
tieft und mit neuen Brücken und Schleusen versehen werden, ein Unter- 
nehmen, das erst um 1914/15 abgeschlossen wurde. Dazu kam, daß die 
deutsche Schiffsbautechnik und die Artillerieindustrie auf eine so plötzliche 
gewaltige Steigerung der Leistung nicht eingerichtet waren. Abgeseben 
von den großen Kosten konnte sich auch ein Bedenken aufwerfen, ob die 
neue Riesenaufgabe rein technisch glatt würde bewältigt werden können, 
ob nicht endlose Verzögerungen und mißglückte Schiffe die Folge sein 
würden. Am schwersten wog die politische Uberlegung: 
Man mußte sich in Deutschland sagen, daß der völlige Umschwung 
in der europäischen Machtgruppierung auf Großbritannien zurückzu- 
führen war und — neben dem gewaltigen wirtschaftlichen Erstarken und 
der Bevölkerungsvermehrung Deutschlands — die Richtung der deutschen 
Politik zur hauptsächlichen, wenn nicht zur allgemeinen Grundursache
	        
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