Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Der britische Flottenfrontwechsel — Die Bedeutung der Oreadnoughtpolitik. 251 
  
hatte. Das Wesentliche und Treibende der deutschen Politik seit Ende 
der neunziger Jahre gipfelte aber in der Schaffung einer starken deutschen 
Flotte und Starkerhaltung der Armee. Zu Lande wollte man sich nach 
Möglichkeit an Rußland anlehnen, um hier von Sorgen frei zu sein. Zur 
See sollte die Mißstimmung Englands mit allen ihren tatsächlichen Folgen 
in den Kauf genommen und durchgehalten werden. Man mag sich das 
alles schon vorher im großen und ganzen überlegt haben, aber um das 
Zahr 1905, besonders auch während des stürmischen Sommers eben dieses 
Zahres, lag die Frage wohl nahe, ob es wirklich im Interesse des Deut- 
schen Reiches sei, diesen Kurs weiter zu steuern, auf die Gefahr mit jedem 
Zahre wachsender Schwierigkeiten für die auswärtige Politik. Und da- 
hinter stand wieder die Frage, ob man wirklich dahin gelangen werde, 
durch den Flottenbau diejenigen Ergebnisse zu erreichen, welche allein 
ihn rechtfertigen konnten? 
Die Entscheidung ist bekannt. Der Staatssekretär des Reichs-Marine- 
Amtes brachte im Herbst 1905 die neue Vorlage ein, sie wurde mit großer 
Mehrheit im Reichstage bewilligt. Damals begannen auch Versuche 
mit Unterseebooten. Bis 1905 hatte der Stand der Technik nicht gestattet, 
seegehende Unterseeboote herzustellen. Sobald die Möglichkeit nun sich 
bot, griff die deutsche Marineverwaltung schnell entschlossen zu und über- 
flügelte in kurzem alle anderen Marinen auf dem Gebiete des Unter- 
seebootswesens. Ob die „Dreadnoughtbau“ bewilligenden Abgeordneten 
sich damals der vollen Tragweite ihrer Stimmabgabe, besonders in poli- 
tischer Beziehung, bewußt waren, mag dahingestellt bleiben. Hätte man 
in Deutschland jenen „Dreadnought"“-schritt Großbritannien nicht nach- 
getan oder nicht sofort, oder hätte man, der Kostenerhöhung pro Schiff 
entsprechend, die Sollstärke der deutschen Schiffszahl eingeschränkt, 
so würde möglicherweise wieder ein Umschwung der Politik Groß- 
britanniens zu Deutschland hin eingetreten sein. Die Sorge wäre dann 
beseitigt gewesen, welche im Grunde schon damals beinahe alle Hand- 
lungen und Unterlassungen der britischen Politik beherrschte: die Sorge 
wegen der deutschen Flotte. Die so oft erörterten „guten Beziehungen“ 
wären also leicht zu erreichen gewesen, und Deutschland hätte sich un- 
gezählte Millionen Mark erspart. Die Wege unserer auswärtigen Politik 
hätten sich geebnet, aber — das war der entscheidende Punkt — unter 
britischer Bormundschaft in allen seeischen, überseeischen und konse- 
quenterweise auch in den festländischen Fragen. Für immer wäre das 
große Ziel ausgegeben worden, eine Flotte von solcher Stärke zu schaffen, 
daß auch die größte Seemacht Bedenken tragen müsse, sich in einen Krieg 
mit uns einzulassen, aus Besorgnie für Gefährdung ihrer eigenen Welt- 
stellung. Es wäre ein deutsches Faschoda gewesen, nur mit dem Unter-
	        
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