Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

252 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1508. 
  
schiede, daß Deutschland es spontan auf sich genommen hätte, und zwar 
für immer. Zene Politik der freien Hand, welche Bülow so häufig pro- 
klamierte und tatsächlich anstrebte, war im Grunde eine — wie die Eng- 
länder sagen „Would-be-Politik“. Wir waren nicht fähig, sie in Wirklich- 
keit zu treiben, weil gerade dem mächtigsten und überall sich in den Weg 
stellenden Wettbewerber gegenüber das Rückgrat jeder Politik der freien 
Hand fehlte, nämlich ein entsprechendes Maß von Wehrkraft zur See 
und die erforderlichen Bündnisse auf dem Festlande. #lnderseits muß 
ein deutscher Staatsmann sich fragen, ob die Freundschaft, welche die 
deutsche Politik der russischen in so hohem Maße gerade damals erwies 
und auch vorher erwiesen hatte, genügend Früchte tragen würde, um 
die Ubernahme der großen Schwierigkeiten und auch Gefahren zu recht- 
fertigen, welche als Kehrseite dieser Politik erwachsen waren und zweifel- 
los auch fernerhin erwachsen würden. 
Wir wissen nicht, inwieweit von den leitenden Männern in Deutsch- 
land derartige Uberlegungen gepflogen worden sind. Das Ergebnis war 
jedenfalls, daß man den großen Schritt tat, im vollen Bewußtsein, daß 
man der auswärtigen Politik und Diplomatie des Oeutschen Reiches 
damit einen Kalvarienberg auftürme, der nolens volens erstiegen werden 
müsse. Auf die nationale Mehrbeit der deutschen Bevölkerung hatten die 
Vorgänge der letzten Jahre, besonders die nachher zu schildernden des 
Zahres 1905, nur den Eindruck gemacht, daß man, ohne nach rechts und 
nach links zu sehen, rüsten und durch die Periode der Schwierigkeiten 
und Gefahren hindurch müsse. Die englischen Drohungen erzielten nicht 
den von England gewünschten Erfolg, sondern den entgegengesetzten. 
An solchen Drohungen fehlte es allerdings nicht, sie wurden von 
Zahr zu Jahr häufiger und zugleich auch deutlicher. 
Anfang Februar 1905 bielt der Zivillord der britischen Admiralität, 
Mr. Arthur Lee, eine öffentliche Redde. Er wies auf Zweck und Wert 
der neuen britischen Flottenorganisation hin und verband damit die Rede- 
wendung, England müsse weniger anderen Mächten gegenüber besorgt 
sein, als vielmehr mit um so größerer Besorgnis nach der Nordsee blicken. 
Oarauf seien ebensowohl die Flottenverschiebungen zurückzuführen wie 
der überaus hohe Grad von Schlagfertigkeit der neuorganisierten Flotte. 
Alle Reserveschiffe seien in wenigen Stunden zum Aluslaufen bereit, 
„fast so schnell, wie wir eine Eisenbahnlokomotive unter Dampf setzen 
können. Wir glauben an das alte Wort: Oreimal gesegnet derjenige, 
der den ersten Schlag führt! — und ich hoffe, daß im Falle einer Gefahr 
die britische Flotte in der Lage sein wird, den ersten Schlag und einen 
recht wuchtigen dazu zu führen, noch ehe die andere Macht gewahr wird, 
daß der Krieg erklärt ist.“ Nach einer anderen Darstellung sollte er ge-
	        
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