Tanger. 259
Selegenheit, einen Trinkspruch auf König Eduard auszubringen. Zn
England erregte dieser Besuch großen Arger. Die „Times“ erklärten:
ed sei nach der Tangerkundgebung des Kaisers taktlos und unklug ge-
wesen, die englische Seefestung Gibraltar anzulaufen. Es sei unter solchen
Umständen nicht verwunderlich gewesen, daß die Königin von England
wenige Stunden vor der Ankunft des Kaisers Gibraltar verlassen habe.
Über den Zweck der Kaiserreise nach Tanger konnte für niemanden
Zweifel obwalten. Weder Deutsche noch Ausländer vermochten ver-
nünftigerweise zu glauben, daß der Tangerbesuch die Ouvertüre zu einer
Annexionspolitik sein solle. ARicht allein der Kaiser ließ in seinen An-
sprachen keinen Zweifel darüber, sondern seit Jahren hatte der Reichs-
kanzler, hatte die halbamtliche und inspirierte Presse in lückenloser Kon-
sequenz immer die gleichen Grundsätze betont. Im Reichstag äußerte
sich am 29. März 1905 der Reichskanzler wiederum in den gleichen Wen-
dungen:
„Seine Majestät der Kaiser hatte gerade vor Jahreefrist Seiner
Majestät dem Könige von Spanien erklärt, Deutschland erstrebe in Marokko
keine territorialen Borteile. Nach dieser bestimmten Erklärung ist es
aussichtslos, dem Besuche Seiner Majestät in Tanger irgendwelche selbst-
süchtigen, gegen die IZntegrität oder die Unabhängigkeit von Marokko
gerichteten Absichten unterzuschieben. Ein berechtigtes Motiv zur Be-
unruhigung kann also aus diesem Besuche niemand berleiten, der selbst
keine aggressiven Zwecke verfolgt.“ Der Kanzler weist dann auf das Vor-
handensein der deutschen Interessen wirtschaftlicher Natur hin und auf
das erhebliche Interesse an der Erhaltung der offenen Tür. In der Ten-
denz der deutschen Politik habe sich nichts geändert. „Wer ein Fait nou-
veau sucht, wird es nicht in der deutschen Politik finden. Sofern aber
versucht wird, die völkerrechtliche Stellung von Marokko zu ändern, oder
bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes die offene Tür zu kon-
trollieren, müssen wir auch in höherem Grade als früher darauf achten,
daß unsere wirtschaftlichen Interessen in Marokko ungefährdet bleiben.
Wir setzen uns deswegen zunächst mit dem Sultan von Marokko in Ver-
bindung.“
Auch diese Ausführungen ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen
übrig, und das Recht Deutschlands, sich auf diesen Boden zu stellen, war
außer Frage. Die Tangerreise des Deutschen Kaisers hat mithin ebenso-
wenig wie die Krüger-Depesche eine sogenannte „impulsive Handlung“
des Herrschers gebildet, sondern sie war ihm vom Reichskanzler geraten
worden, wie es heißt, sogar mit großer Oringlichkeit und wiederholt.
Die Person des Deutschen Kaisers war also mit einer beispiellosen Aus-
drücklichkeit im Dienste der amtlichen Politik des Reiches eingesetzt worden,
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