264 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908.
gesagt, er habe die französischen Interessen wahrgenommen und sei nicht
der Ansicht gewesen, daß er auch zur Wahrung der deutschen ZInteressen
verpflichtet wäre.
Wenige Tage nach dieser begreifliches Aufsehen erregenden Ber-
öffentlichung, zu welcher in der Presse Stellung zu nehmen Oelaassé
sich weigerte, erklärte der sozialistische Abgeordnete Mr. Jaureês, er habe
schon während des Höhepunktes der deutsch-französischen Krisis aus fran-
zösischer Quelle alles das erfahren, was Delcassé von der englischen Hilfe-
leistung gesagt hätte, nämlich: daß Großbritannien sich schriftlich zum Bei-
stand verpflichten wolle, daß es nicht nur die Mitwirkung seiner Flotte,
sondern auch die Landung von 100 000 Engländern an der schleswig-
holsteinischen Küste bindend versprochen habe.
Drei Tage nach den ersten „Delcasséschen Enthüllungen“ erschien
im französischen Kriegehafen Brest ein englisches Geschwader; die üb-
lichen Einladungen und Verbrüderungen fanden statt. Der englische Ge-
schwaderchef Bizeadmiral May sprach die Hoffnung aus, die Entente
Cordiale möge noch fester werden, und der britische Botschafter in Paris,
Sir F. Bertie, gab der Hoffnung Ausdruck, daß die Bande aufrichtiger
Freundschaft unauflöslich werden möchten. Drei Wochen später erwi-
derte ein französisches Geschwader den Besuch, und hier erschien König
Eduard von England selbst, um den französischen Offizieren seine Wünsche
für das Einvernehmen zwischen den beiden Mächten auszudrücken.
In diesen beiden Geschwaderbesuchen war tatsächlich wieder die
englische Znitiative enthalten: der Versicherung des englischen Beistandes
für alle Fälle und eine deutliche Drohung an die deutsche Adresse.
Oie britische Regierung erklärte halbamtlich, sie könne die Enthül-
lungen eines Preßorgans, wie die Behauptung von einem englischen
Anerbieten an Frankreich, im Kriegsfall bewaffnete Unterstützung gegen
Deutschland zu leisten, weder ableugnen, noch bestätigen. Die Regie—
rung bedaure die Mitteilungen Delcassés an den „Matin“ ebenso wie alle
derartigen Indiskretionen. Das Reutersche Bureau erklärte dagegen, daß
die Frage eines Beistandsangebotes an Frankreich nie bestanden habe,
Frankreich habe nie Beistand verlangt, England nie solchen angeboten.
Im Zuni soll der Staatssekretär des Außeren, Lord Lansdowne, dem
deutschen Botschafter in London, Grafen Wolff-Metternich, erklärt haben,
daß ein englisch-französisches Schutz“- und Trutzbündnis niemals Gegen-
stand der Erwägungen gewesen sei. Oiese englischen Erklärungen fielen
neben den zahlreichen Beweisen des Gegenteiles nicht ins Gewicht. Es
konnte vielleicht nicht bestritten werden, daß Lord Lansdowne eine dem
Wortlaute nach den Tatsachen entsprechende Erklärung abgegeben
habe, aber Worte, Begriffe sind zahlreich und dehnbar. Das subjek-