Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Tanger. 265 
  
tive Recht der diplomatischen Auslegung kann man sogar unbegrenzt 
nennen. 
Der Sultan von Marokko ließ eben vor dem Rücktritte Delcassés 
die französische Regierung wissen, daß er die Reformvorschläge Frank- 
reichs nicht annehmen könne, und forderte — auf deutsche Anregung — 
die Signatarmächte der Madrider Konvention zur Beschickung einer 
Konferenz auf. Zu dieser Zeit befand sich der deutsche Reichskanzler 
bereits in direktem Meinungsaustausche mit Mr. Rouvier. Oie deutsche 
Regierung nahm den Konferenzvorschlag des Sultans sofort amtlich auf, 
und in einem Rundschreiben legte Fürst Bülow dar, daß die in Marokko 
nötigen Reformen nur unter Anlehnung an die Madrider Signatarmächte 
erfolgen könnten. Deshalb müsse der Meistbegünstigungoartikel 17 dieser 
Konvention maßgebend bleiben: daß also keine Macht als bevorzugt in 
Marokko behandelt werden dürfe. Sollte die Konferenz an der Wei- 
gerung einzelner Signatarmächte scheitern, so würde der bisherige Ver- 
tragezustand unverändert aufrecht bleiben. Ein Gewährenlassen der 
französischen Aktion in Marokko bedeute für die Signatarmächte das 
Preisgeben ihrer Rechte aus dem Madrider Vertrage, ein Einspruch gegen 
diese Aktion bedeute eine Verteidigung des bestehenden Rechtszustandes. 
Anfang Zuli erfolgte ein Erklärungsaustausch zwischen Rouvier und 
dem deutschen Botschafter über die zu beschickende Konferenz, welcher 
von französischer Seite folgendermaßen lautet: 
„Die Regierung der Republik ist durch die Besprechungen, die zwi- 
schen den Bertretern der beiden Länder in Paris wie in Berlin stattge- 
funden haben, zu der Uberzeugung gelangt, daß die Kaiserliche Regie- 
rung auf der von dem Sultan von NMarokko vorgeschlagenen Konferenz 
keine Ziele verfolgen wird, die die berechtigten Interessen Frankreichs 
in diesem Lande in Frage stellen oder im Widerspruche stehen mit den 
Rechten Frankreichs, die sich aus seinen Verträgen oder Abkommen er- 
geben und sich im Einklange mit folgenden Grundsätzen befinden: Sou- 
veränität und Unabhängigkeit des Sultans, Integrität seines Reiches, 
wirtschaftliche Freiheit ohne jede Ungleichheit, Nützlichkeit polizeilicher 
und finanzieller Reformen, deren Einführung für kurze Zeit auf Grund 
internationaler Bereinbarung geregelt werden soll; ferner: Anerkennung 
der Lage, die für Frankreich in Marokko geschaffen wird durch lang aus- 
gedehnte Grenzberührung zwischen Algerien und dem Scherifischen Reiche, 
durch die sich hieraus für die beiden Nachbarländer ergebenden eigen- 
artigen Beziehungen, sowie durch das hieraus für Frankreich folgende 
besondere Znteresse daran, daß im Scherifischen Reiche Ordnung herrsche. 
— Infolgedessen läßt die französische Regierung ihre ursprünglichen 
Einwendungen gegen die Konferenz fallen und nimmt die Einladung an.“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.