Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Oie beiden Konferenzen: Algeciras und Haag. 271 
  
gerade England gegenüber mit äußerster Sorgfalt korrekt war und jeden 
Anstoß vermied, scheute die großbritannische Regierung sich nicht, während 
des Eingeborenen-Aufstandes in Deutsch-Südwest-Afrika die Eingebo- 
renen als kriegführende Partei im völkerrechtlichen Sinne anzuerkennen 
und die Ourchfuhr von Lebensmitteln und Kriegomaterial durch die bri- 
tische Kapkolonie zur Versorgung der deutschen Truppen zu verbieten. 
Der Vorgang war ein unerhörter, und daß seinerzeit nichts aus ihm ge- 
macht wurde, beweist nur die große Beflissenheit des Fürsten Bülow, 
ernste Reibereien mit England zu vermeiden. 
Zn Deutschland hat man nach Beendigung der Algeciraskonferenz 
vielfach die Ansicht vertreten: es sei richtiger gewesen, wenn die deutsche 
Regierung nach dem Rücktritte Delcassés sich direkt mit Frankreich über 
Marokko verständigt hätte. Fürst Bülow hat zu diesem Punkte mehrere 
Male Stellung genommen und gesagt: Deutschland habe sein Recht der 
Mitentscheidung über die Zukunft Marokkos auf die Madrider Konvention, 
inesbesondere den darin enthaltenen Artikel der Meistbegünstigung, gegründet. 
Deshalb würde die deutsche Politik diesen ihren unanfechtbaren Rechts- 
boden in dem Augenblicke verlassen haben, wo sie mit Frankreich allein 
sich über Marokko verständigt hätte. Rein formal ließ und läßt sich hier- 
gegen nichte einwenden, aber eine sachlich-politisch haltbare Begründung 
der deutschen Stellungnahme ist es nicht, da die Unanfechtbarkeit des 
formalen Rechtsbodens damals, wie überhaupt meist in der praktischen 
Politik, keineswegs in erster Linie von Belang war. Später hat auch Fürft 
Bülow diese, seinerzeit im Reichstage gegebene Begründung nicht als aus- 
reichend angesehen. Zn seinem genannten Werke, das man im wesent- 
lichen alo eine Verteidigung und Rechtfertigung seiner Politik ansehen 
darf, meint er zu der Frage einer damaligen Sonderverständigung mit 
Frankreich: es könne dahingestellt bleiben, ob Frankreich überhaupt ge- 
neigt gewesen wäre, uns einen annehmbaren Preis zu zahlen. „Zeden- 
falle durften wir schon mit Rücksicht auf unsere Stellung in der Türkei 
und zum Islam diesen Weg nicht einschlagen.“ Bülow erinnert an die 
Worte Kaiser Wilhelms 1898 zu Damaskus: „Mögen die dreihundert 
Millionen Mohammedaner, welche auf der Erde verstreut leben, dessen 
versichert sein, daß zu allen Zeiten der ODeutsche Kaiser ihr Freund sein 
wird.“ — Der damalige deutsche Botschafter zu Konstantinopel, Freiherr 
v. Marschall, hatte dem Fürsten Bülow im Marokkojahre gesagt: „Wenn 
wir Marokko trotz Damaskus und Tanger preisgeben, so verlieren wir 
mit einem Schlage unsere Stellung in der Türkei und mit ihr die Borteile 
und Zukunftoaussichten, die wir uns durch jahrelange Arbeit mühsain 
erworben haben.“ 
Der Grund des deutschen Botschafters ist in der Tat beachtenowert
	        
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