Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die beiden Konferenzen: Algeciras und Haag. 277 
  
cassés für richtig gehalten hatte und auch damals, dreiviertel Jahre nach 
dem Rücktritte Delcassés, für die gegebene Politik Frankreichs bielt. Man 
bezeichnete diesen Schritt König Eduards als eine „Antwort“ auf die Reise 
Kaiser Wilhelms nach Tanger. Der tatsächliche Unterschied freilich war 
groß genug, denn Kaiser Wilhelm machte jene Reise, um zu betonen, daß 
Oeutschland für die Unabhängigkeit des Sultans von Marokko und für die 
offene Tür in Marokko für alle Nationen einträte, während König Eduards 
Besuch die Forderung französischer Alleinherrschaft über Marokko in rück- 
sichtslosem Gegensatz gegen Deutschland als Programm verkündete. König 
Eduard von England begann damals überhaupt in auffälliger und brüsker 
Weise zu zeigen, daß ihm nicht daran läge, den antideutschen Charakter seiner 
Politik noch auch seinen persönlichen Gegensatz gegen den Deutschen Kaiser 
zu verbergen. Als im Hochsommer 1905 der König in Marienbad ange- 
kommen war, wurde eine Oepesche seines ständigen Privatsekretärs und 
Begleiters, Lord Knollps, veröffentlicht, welche die Nachricht dementieren 
sollte, es siehe ein Besuch König Eduards bei seinem kaiserlichen Neffen 
devor. Die Depesche lautete: König Eduard habe auf seinem Wege nach 
Marienbad weder eine Unterredung mit dem Deutschen Kaiser gewünscht, 
noch beabsichtige er eine solche! — ODas sollte nicht nur eine grobe Unhöf- 
lichkeit bedeuten, sondern vor allem auch eine politische Demonstration, 
den Franzosen zur Beruhigung: der König von England denke nicht daran, 
in einer Periode deutsch-französischer Spannung sich auf eine Unterredung 
mit dem Deutschen Kaiser einzulassen. 
Auf die persönliche Initiative des Königs war es zurückzuführen, 
daß in der zweiten Augusthälfte 1905 die englische Kanalflotte zu Ubungen 
nach dem deutschen Teile der Ostsee entsandt wurde. Der Zweck dieser 
eigentümlichen Maßnahme — seit dem Krimkriege hatte Großbritannien 
keine Flotte nach der Ostsee geschickt — war im Zusammenhange der 
Marokkokrisis und der angedeuteten großbritannischen Politik einerseits 
Frankreich, anderseits Deutschland gegenüber klar: den Oeutschen sollte 
die englische Flottenübermacht vor Augen geführt werden, es sollte ihnen 
gezeigt werden, daß Frankreich Großbritanniens Riesenflotte an seiner Seite 
haben werde und deohalb jeder auch nur politische deutsche Widerstand um- 
sonst sei. Nicht lange vorher war der Deutsche Kaiser, wie erwähnt, zu 
Schiff von einer Zusammenkunft mit dem Zaren gekommen und hatte 
auch Kopenhagen besucht, ein deutsches Geschwader hatte in Kopenhagen 
gelegen. Auch diesen Mächten wie den standinavischen sollte der englische 
Flottenbesuch in der Ostsee zeigen, daß die großbritannische Meeresbe- 
herrschung überall da unbedingt vorhanden sei, wo Großbritanniens Flotte 
erscheine. Rußland insbesondere wurde damit der Wink gegeben: es habe 
zwar seit dem Kriege mit Japan keine Flotte mehr, aber England werde
	        
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