Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

282 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1905—1908. 
  
wesen. Die deutsche Regierung wollte es nicht dazu kommen lassen, weil 
sie den Frieden zu erhalten wünschte. Die zwingende Folge war, daß 
Deutschlands Rolle auf der Konferenz sich nicht nur schwierig gestaltete, 
sondern von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilt war. 
Die hauptsächlichen Meinungsverschiedenheiten während der Berhand- 
lungen entstanden über die Schaffung einer marokkanischen Staatsbank 
und die Organisation einer internationalen politischen Polizei in Marokko. 
Deutschland wollte diese Polizeiorganisation auf eine tatsächlich inter- 
nationale Grundlage stellen: entweder sollte der Sultan berechtigt sein, 
sich die Offiziere dieser Truppe ganz frei unter den Mächten zu wählen, 
oder er sollte verpflichtet sein, sie nur aus den Mächten zweiten Ranges 
zu nehmen. Oer erste deutsche Delegierte, Herr v. Radowitz, der damalige 
deutsche Botschafter in Madrid, erklärte mit ebensoviel Recht wie Nach- 
druck: in der Lösung der Polizeifrage seien außer der Unabhängigkeit 
und Integrität Marokkos auch die Handelsfreiheit ohne Ungleichheit 
mit Notwendigkeit enthalten. Da Frankreich und Spanien Unab- 
hängigkeit, Integrität und Handelsfreiheit baldmöglichst zu vernichten 
entschlossen waren, so vertraten sie den Standpunkt, daß lediglich sie die 
Polizeiorganisationen in den marokkanischen Häfen durchzuführen und 
in der Hand zu halten hätten. Alle Mächte, ausgenommen die marok- 
kanische Regierung und Österreich-Ungarn, teilten den französisch-spa- 
nischen Standpunkt und bekämpften den deutschen oder standen ihm 
gleichgültig gegenüber. Als die Spannung gefährlich zu werden drohte, 
brachte der österreichisch-ungarische Delegierte, Graf Welsersheimb, einen 
Vermittlungsvorschlag ein, welcher der deutschen Regierung eine Rück- 
zugsbrücke bildete und bilden sollte. Dieser Vorschlag besagte: Der Sultan 
sollte den Oberbefehl über die Polizeitruppen führen; er solle französische 
Offiziere mit der Organisation der Polizeitruppen in drei Häfen und 
spanische Offiziere in drei Häfen betrauen; in Casablanca sollten fran- 
zösische und spanische Offiziere zusammenarbeiten. Ein Generalinspektor 
sollte über allem stehen, ihn hatte die Schweiz dem Sultan nach dessen 
persönlicher Auswahl zu stellen. Damit war der Zweck der deutschen 
Vorschläge: Marokko unter eine wirklich internationale Aufsicht zu stellen, 
von vornherein gescheitert. Mit der marokkanischen Bank ging es äbnlich. 
Wenn die Algecirasakte dabei feierlich die bekannten Grundsätze der Sou- 
veränität, Integrität und Handelsefreiheit anerkannte, so konnte das Frank- 
reich und Spanien jetzt nicht mehr hinderlich sein, nachdem es gelungen 
war, die deutschen Absichten zu vereiteln: daß internationale tatsächliche 
Garantien für Erbaltung der Souveränität des Sultans, der Integrität 
des marokkanischen Gebietes und des Handels ohne Ungleichheit geschaffen 
würden. Die einzige Möglichkeit für Deutschland, der Tunifizierung
	        
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