Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

298 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
Die übrigen Seemächte sahen sich, wie an anderer Stelle ausgeführt 
wurde, nicht in der Lage, ohne weiteres und sofort „Dreadnoughts“ zu 
bauen. So mag die britische Regierung tatsächlich eine Zeitlang geglaubt 
haben, England habe mit der „Dreadnought“ das „letzte Wort“ ge- 
sprochen: zur gewaltigen zahlenmäßigen Uberlegenheit der britischen 
Flotte an Vordreadnougbtschiffen kam nunmehr die enorme guali- 
tative Uberlegenheit dieser ganz neuen Klasse hinzu. Die Bertreter 
des liberalen Kabinettes in England glaubten deshalb den Augenblick 
gekommen, die Flottenlasten vermindern und gleichzeitig die neue große 
Uberlegenheit der britischen Flotte den anderen gegenüber voll und 
dauernd aufrechterhalten zu können. Diese Preisaufgabe wollte man 
auf dem Wege einer „internationalen Verständigung“ und Festlegung 
lösen. 
Zm Laufe des JZahres 1906 wurde in der britischen Presse und im 
Parlamente die Frage der Rüstungseinschränkungen lebhaft erörtert. 
Die Bertreter der Regierung, an der Spitze Campbell-Bannerman, 
sprachen sich mit Bestimmtheit und Eifer für eine solche Anregung aus. 
Ende Mai 1906 äußerte sich der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amte, 
Lord Fitzmaurice, im Oberhause: 
Er verkannte nicht die Schwierigkeit, „einen einheitlichen Maßstab 
für die Herabsetzung der Rüstungen zu erzielen und einen Gerichtshof zu 
finden, der zu entscheiden hätte, ob dieser einheitliche Grundsatz von allen 
in Betracht kommenden Mächten richtig angewendet werde"“. GEleichwohl. 
bielt die britische Regierung diese einheitliche Regelung für möglich und 
notwendig. Ihre Vertreter führten an, daß Großbritannien sein derzeitiges 
Jahresbauprogramm erheblich herabgesetzt und damit die Aufrichtigkeit 
seines Willens und Vorhabens bewiesen habe. Lord Fitzmaurice wies in 
seiner geschichtlich interessanten Rede auch auf deutsche Stimmen hin, 
die geäußert hätten, gerade Deutschland müsse wegen seiner geographischen 
Lage, seiner Nachbarn usw. hinsichtlich seiner Rüstungsbedürfnisse mit an- 
derem Maße gemessen werden als Großbritannien, besonders auch im 
Hinblick auf die geschichtliche Vergangenheit Deutschlands. Dazu sagte 
Lord Fitzmaurice: „Wir können, indem wir diese Schwierigkeiten aner- 
kennen und versuchen, die Lage der anderen Nationen zu verstehen, Ein- 
spruch erheben gegen jede weitere Bermehrung der Flottenrüstungen 
durch irgendeine europäische Macht unter dem irrtümlichen Eindrucke, daß 
wir versuchten, Borbereitungen zu einem großen Schlage zur See oder zu 
einem Angriffsakte zu treffen. Wir haben das Recht zu protestieren, weil 
von England kein Angriffsakt geplant wird, auch keine solche Handlung vom 
englischen Volke geduldet werden würde. Ich hege die Zuversicht, daß die 
heutige Verhandlung als eine Einladung an die anderen Länder auf-
	        
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