Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die beiden Konferenzen: Algeciras und Haag. 301 
  
nur Deutschland nicht. Daraus gebe einwandfrei hervor, daß Deutsch- 
land kriegerische und angriffsweise Absichten mit seinen Rüstungen ver- 
folge — zumal es ja gar keiner Flotte bedürfe —, also der eigentliche 
Friedensbedroher Europas sei. Ein solches Odium zu vermeiden, mußte 
immerdhin versucht werden. 
Oie deutsche Volksmeinung war, kurz ausgedrückt, ungefähr die fol- 
gende: Nachdem eine Berbindung von Mächten erfolgreich versucht hat, 
unter Englands Führung ODeutschland diplomatisch und politisch zu über- 
wältigen, will jetzt dieselbe Mächtegruppe versuchen, uns das Rückgrat 
unserer Lebenskraft als Nation, nämlich die Wehrkraft, zu schwächen. Eine 
starke Beunruhigung ging durch das deutsche Volk, erhöht durch das Ge- 
samtbild der internationalen Lage, insbesondere die immer augenfälliger 
beginnende Verständigung zwischen Großbritannien und Rußland. 
Umgekehrt war man in Großbritannien sehr verdrießlich und ent- 
täuscht über das Ergebnis der Neuwahlen für den Deutschen Reichstag. 
Im Oezember 1906 war der Reichstag im Zeichen einer kolonialen Frage 
aufgelöst worden. In Großbritannien nicht nur, sondern auch in Frankreich 
und in anderen Staaten war die Auffassung verbreitet: die sozialdemo--- 
kratische Partei werde enorm vermehrt in den Reichstag einziehen und 
damit eine parlamentarische Mehrheit entstehen, welche sich erfolgreich 
weigern würde, die Ausgaben für Heer, Flotte und Kolonien in der bis- 
herigen Höhe, oder gar noch steigend, zu bewilligen. Man glaubte, es habe 
sich im deutschen Volke eine derartige Opposition hiergegen und gleich- 
zeitig ein solcher Widerspruch gegen die Tätigkeit des Deutschen Kaisers 
gebildet, daß, möglicherweise unter Trennung des deutschen Südens vom 
Norden, eine allgemeine Schwächung und Zersplitterung des Deutschen 
Reiches und Volkes eintreten werde. Oie großbritannischen Hoffnungen 
in dieser Hinsicht waren um so größer, weil man sich sagte, eine derartig 
negierende Mehrheit im Reichstage, welche ohnehin die Trägerin inter- 
nationalisierender und pazifistischer Elemente sei, würde mit besonderer 
Bereitwilligkeit auf Anregungen zur Rüstungseinschränkung zur See ein- 
gehen. — Die Wahlen von 1900/07 machten bekanntlich allen diesen Hoff- 
nungen ein Ende. Der neue Reichstag stand geschlossener und verständnis- 
voller denn je gerade in der Rüstungefrage da, zeigte außerdem im Ver- 
eine mit annähernd der gesamten Presse klares Berständnis für die Natur 
der neuen englischen Intrige. 
Mitte Fuli 1907 sollte die zweite Friedenskonferenz im Haag er- 
öffnet werden. Ende April nahm der Neichskanzler Gelegenheit, die 
Rüstungsfrage in dieser Berbindung vor dem Reichstage zu behandeln: 
Fürst Bülow führte aus, daß der Gedanke eines Stillstandes oder 
einer Verminderung der Rüstungen noch keine bestimmte Form im Pro-
	        
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