Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Ha russisch-britische Abkommen und andere Abkommen. 307 
irgendwelcher Hinsicht. Man hoffte und glaubte, durch fortwährendes Be- 
weisen deutscher Uneigennützigkeit und Friedsamkeit die freundliche Ge- 
sinnung der anderen europäischen Mächte erwerben zu können. 
Untätig ist die Politik des Deutschen Reiches in jener Zeit gleichwohl 
nicht gewesen. Ihr Ziel war, ein enges Einvernehmen und in weiterer 
Folge ein Bündnis mit dem Russischen Reiche zustande zu bringen und dann 
Frankreich durch die zwingende Macht ein er solchen politischen Lage dem 
Bunde anzugliedern. Im Herbst des Jahres 1917 hat die sozialrevolutio- 
näre russische Regierung einen Depeschenwechsel zwischen dem Deutschen 
Reiche und dem damaligen Zaren veröffentlicht, dessen Inhalt die deutsche 
Politik jener Zeit ziemlich klar, wenn auch nicht annähernd vollständig 
beleuchtet. Es ist aber nur ein Oepeschenwechsel zwischen den beiden 
Monarchen, dessen sozusagen politischer Gipfelpunkt die Mitteilung ent- 
hält, daß der Entwurf eines deutsch-russischen Bündnisses vom Zaren ge- 
nehmigt worden sei. Ob und was für Verhandlungen zwischen den 
leitenden Staatsmännern der beiden Mächte gepflogen worden seien, 
ist aus jenen Beröffentlichungen nicht ersichtlich. Mit einem endgültigen 
Urteile über diese Versuche und vor allem auch über ihr Scheitern wird 
man mithin warten müssen. Auf alle Fälle hat die deutsche Politik jener 
Zeit versucht, den Gedanken eines großen Festlandbündnisses zu verwirk- 
lichen und ist daran gescheitert. In welchem Zusammenhange die deutsche 
Marokkopolitik des Jahres 1905 mit dieser russischen Bündniepolitik ge- 
standen hat, ist noch nicht ersichtich. Die Erörterung dieser bedeutenden 
und interessanten Frage muß einer späteren Auflage vorbehalten bleiben, 
wird außerdem in der Vorgeschichte des Krieges eingehendere Berück- 
sichtigung finden. In dieser und der vorliegenden Untersuchung kann nur 
festgesteilt werden, daß die deutsche Politik ihr Ziel nicht erreichte, sonderm. 
das Gegenteil von dem, was sie angestrebt hatte, eintrat. In Groß- 
britannien hatte man, wie in einem vorherigen Abschnitte gezeigt worden 
ist, die Anzeichen einer beginnenden deutsch-russischen Annäherung mit 
ebensoviel Mißtrauen wie Beunruhigung verfolgt. Oie britischen Staates- 
männer begnügten sich aber nicht mit solchen Gefühlen, sondern gingen, 
unterstützt von der französischen Diplomatie, mit aller Energie und Geschick- 
lichkeit daran, für Großbritannien das zu erreichen, was das Oeutsche 
Reich für sich erstrebt hat. 
In vorbergehenden Abschnitten ist dargelegt worden, wie der Reichs- 
kanzler Fürst Hohenlohe und sein Nachfolger stetig und emsig bemüht ge- 
wesen waren, die unter Caprivi erfolgte Entfremdung zwischen dem Deut- 
schen Reiche und Rußland wieder zu beseitigen. Eingetreten war jene Ent- 
fremdung durch die schroffe Wendung des deutschen Kurses unter Caprivi 
nach Großbritannien hin; bezeichnet durch den Anfangeakt: die Nicht- 
20“
	        
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