Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Das russisch-britische Abkommen und andere Abkommen. 313 
  
lag das resignierte Bekenntnis, daß man der politischen Entwicklung, die 
unter Englands Führung seit vier Zahren eingeleitet worden war, um 
Deutschland zu isolieren, machtlos gegenüberstand. Der ungeheure Um- 
schwung nicht nur der Stellung des Deutschen Reiches in Europa, son- 
dern auch der Geltung der deutschen Diplomatie seit den Tagen des Bis- 
marckschen Rückversicherungsvertrages konnte nicht deutlicher beleuchtet 
werden als durch solche Worte des Fürsten Bülow. Es ist müßig zu fragen 
und zu untersuchen, ob die Politik des Deutschen Reiches damals über 
Mittel verfügt hätte, um die Bereinigung Rußlands und Großbritanniens 
zu hindern. Tatsache bleibt, daß solche Mittel der deutschen Politik sub- 
jektiv nicht zur Berfügung standen und sie sich deshalb nach den Worten 
des Fürsten Bülow auf die vieldeutige Rolle angewiesen sah: „auf dem 
Posten zu sein, wachsam zu sein und furchtlos“. 
Es war nur natürlich und selbstverständlich, daß, nachdem das Unglück 
geschehen war, der leitende deutsche Staatsmann und die einschlägige 
Presse die Veränderung der Lage nach außen hin gleichgültig nahmen. 
Man konnte auch nicht vom Fürsten Bülow verlangen, daß er vor den 
Reichstag träte und dort etwa sagte: man habe das Mögliche getan, um 
den Lauf der Oinge zu bindern, aber leider ohne Erfolg. Vielleicht sind 
auch manche Vorwürfe, die damals in der deutschen Offentlichkeit gerade 
dem Fürsten Bülow gemacht worden sind, unbegründet gewesen, und auf 
alle Fälle kann nicht bestritten werden, daß die Lage des Oeutschen Reiches 
politisch in der Tat eine schwierige war. Oiese wachsende Schwierigkeit 
lag aber, das muß immer wieder hervorgehoben werden, nicht zum wenig- 
sten in der durch Algeciras gefestigten Uberzeugung der anderen Mächte: 
das Deutsche Reich werde unter keinen Umständen Krieg führen und bei 
jeder Streitfrage alles vermeiden, sie zu einer ausgesprochenen Frage natio- 
naler Ehre zu machen. Die in der Wurzel fehlerhafte deutsche Marokko- 
politik und ihr Ausgang zu Algeciras hatte den gegnerischen Mächten jene 
Uberzeugung gegeben, und darunter litten nicht nur die deutschen Be- 
strebungen in politischer und in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern die Ring- 
bildung der europäischen MNächte gegen das Oeutsche Reich wurde damit 
begünstigt. In Frankreich entstand die Redewendung: das ODeutsche NReich 
könne wohl bellen aber nicht beißen, man brauche nur fest aufzutreten, 
Ernst und Entschlossenheit zu zeigen, um alles von Oeutschland zu er- 
reichen, was man wolle. Der politische Pessimiömus, welcher in jenen 
ZJahren sich mehr und mehr der deutschen Bevölkerung bemächtigte, war 
mithin nicht ohne zureichenden Grund. Das Vertrauen auf die mili- 
tärische Stärke des Deutschen Reiches gewährte gerade dafür keinen 
Trost, daß es der deutschen Politik unmöglich war, die antideutsche Ring- 
bildung zu verhindern. Man fragte sich außerdem, wie es denn nur mög-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.