Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

320 5. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1905—1908. 
  
gelegenheiten, im besonderen über die italienischen Ansprüche auf Tripo- 
lis. Die Zusammenkunft der beiden Könige bedeutete unter diesen Um- 
ständen die freundschaftlich demonstrative Bekräftigung der zwischen den 
beiden Ländern bestehenden engen und bindenden Beziehungen. Der Ein- 
druck dieser Begegnung unmittelbar nach dem Mittelmeerabkommen und 
während einer Periode scharfer Spannung zwischen dem Deutschen Reiche 
und Großbritannien ließ die Haltung des dritten Dreibundmitgliedes wieder 
in scharfes Licht treten. Auch die stillschweigende Erneuerung des Orei- 
bundes im Zuli 1907 konnte über dieses Gefühl nicht hinwegtäuschen und 
ebensowenig waren dazu imstande die Unterhaltungen italienischer und 
österreichisch-ungarischer Staatsmänner über Balkanfragen, Unterhal- 
tungen, welche, von gegenseitigem Mißtrauen getragen, die wachsende 
transadriatische Spannung nicht zu verschleiern vermochten. 
So war das Mittelmeer mit seinen Uferstaaten vollständig unter den 
„englischen Hut“ gebracht worden. Um Griechenland brauchte man sich 
nicht zu sorgen, denn seine Abhängigkeit von den Westmächten und dem- 
entsprechend seine Botmäßigkeit war vollständig. Außerdem kam Griechen- 
land für marokkanische oder andere afrikanische Fragen nicht in Betracht. 
Uberschätzte man also vielleicht damals in der öffentlichen Meinung Deutsch- 
lands die unmittelbare Bedeutung dee britisch-spanisch-französischen Mittel- 
meerabkommen s, so war ee doch ein richtiger Instinkt, dieses als ein neues 
Mittel der britischen Einkreisung Deutschlands zu erkennen. König Eduard 
von England war der Vater des Abkommens gewesen und wurde von dem 
französischen Botschafter zu Madrid, Zules Cambon, geschickt unterstützt, 
demselben Staatsmanne, der seit Beginn des Jahres 1907 bis zum Kriege 
1914 den Botschafterposten zu Berlin bekleidet hat. 
IZm Schatten dieser allgemeinen Ubereinstimmung Großbritanniens, 
der Mittelmeeruferstaaten und Rußlands glaubten die Leiter der fran- 
zösischen Politik munmehr energisch in Marokko vorgehen zu können. Im# 
Frühjahr 1907 beschloß die französische Regierung die nicht weit von der 
algerischen Grenze gelegene marokkanische Stadt Adschda zu besetzen, weil 
dort ein französischer Arzt ermordet worden war. ODer französische Minister 
des Auswärtigen, Pichon, erklärte: man nähme damit nur ein Pfand und 
werde die Stadt räumen, sobald die marokkanische Regierung Genugtuung 
und Sühne gegeben habe. Der Minister erklärte weiter: Frankreichs 
Sonderstellung in Marokko sei mißachtet worden. Er verlas eine Liste von 
Beschwerden gegen Marokko, von Fällen, wo französische Staatsange- 
hörige getötet, beraubt oder gefangen worden wären, während die marok- 
kanische Regierung die marokkanisch-französischen Abkommen von 1901 
und 1902 mißachtet habe. Frankreich, so sagte Pichon, müsse sofort die 
Polizei organisieren, und fügte die Wendung hinzu: „Unsere Politik ist
	        
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