Das russisch-britische Ablommen und andere Abkommen. 327
bei Eintritt künftiger Konflikte gesprochen. Mr. Clémenceau, damals
Ministerpräsident, wurde 1907 im Parlamente gefragt, ob Frankreich
von Großbritannien einen gewährleisteten Beistand zu erwarten hätte.
Clémenceau antwortete unter allgemeiner Heiterkeit: „Ich weiß es nicht,
aber ich glaube es nicht.“ — Der Ministerpräsident gehörte zu den Wenigen,
die ganz genau orientiert waren, und so mußte seine Antwort als Fronie auf
die amtliche Diskretion angesehen werden, was auch in ganz Europa geschah.
Während so das politische Feld in Südeuropa durch die Entente
Cordiale beherrscht wurde, und Spanien wie Italien und Griechenland
sich unter ihrer Leitung zusammengefunden hatten, tat die gleiche Entente
Cordiale ihr Mögliches, um die neutralen Mächte Nordeuropas mit Miß-
trauen gegen das Deutsche Reich zu erfüllen.
Die erwähnten Vorgänge aus dem Krisenjahre 1905 binterließen
ihre Spuren und rückten allen diesen Mächten die Frage nahe, wie sie
sich in einem europäischen Kriege zu verhalten haben würden. Wie
wir gesehen haben, war Belgien der Entente Cordiale Großbritannien
und Frankreich bereite sicher. Anders stand es mit den Niederlanden.
Auch hier freilich war durch die englischen und französischen Bemühungen
ein starkes Mißtrauen gegen Oeutschland entstanden. ANicht nur schenkte
man den alten Auostreuungen von deutschen Ausdehnungs- und An-
nexionsabsichten Glauben, sondern man fürchtete, daß im Falle eines
europäischen Krieges Deutschland die holländische Neutralität verletzen
werde. In den Niederlanden lief das Gerücht um: Kaiser Wilhelm habe
in den Zeiten der Marokkospannung von 1904/05 der Königin Wilhelmina
geschrieben: Wenn die MNiederlande nicht sofort die Verteidigung ihrer
Flußmündungen und Küsten auf die Höhe und in Bereitschaft brächten,
so würde er sich zu seinem Bedauern genötigt seben, die Regierung der
Niderlande vor ein Ultimatum zu stellen. Diese Geschichte, welche von
holländischen Diplomaten erzählt sein sollte, wurde in der britischen,
französischen und belgischen Presse mit alarmierenden Kommentaren aus-
genutzt, erregte großes europäisches Aussehen und hat jabrelang nachher
ihr Wesen getrieben auch in der niederländischen Kammer. Sie ist jedes-
mal von dem betreffenden Regierungevertreter in bündiger und erschöp-
fender Form in das Gebiet der Fabel verwiesen worden. Hätte die Ge-
schichte aber selbst einen Kern von Wahrheit enthalten, so würde man dem
Deutschen Kaiser oder der deutschen Regierung schwerlich einen Borwurf
haben machen können, denn jenes angebliche Verlangen hinsichtlich der
niederländischen Küstenbefestigungen hätte lediglich auf der Befürchtung
beruht, daß großbritannische Kriegsschiffe oder Proviant- und Truppen-
tranoporte in die Schelde einliefen, oder aber daß Landungen einer bri-
tischen Expeditionsarmee an den Küsten oder auf Küsteninseln der Nieder-