Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

338 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
Mängeln und Schwächen in seiner Durchführung war groß und auf lange 
Sicht. Sein Symbol war der Plan der vielgenannten Bagdadbahn, 
einer Bahnverbindung zwischen Konstantinopel und dem Persischen Golf 
durch Kleinasien und Mesopotamien hindurch. Die Voraussetzung für 
Erfolg und Wirkungen der Ausführung dieses Planes war, von deutscher 
Seite betrachtet, die Freiheit und Sicherheit der Berbindung Berlin— 
Wien—Konstantinopel, also die freie Bahn durch die Balkanhalbinsel. 
Diese Frage wurde durch die Balkankriege von 1912/15 akut. 
Der Gedanke einer Landverbindung zwischen dem östlichen Mittel- 
meere und dem Persischen Golf tauchte bereits im ersten Orittel des ver- 
gangenen Jahrhunderts auf, nämlich in Gestalt des Planes einer großen 
Heerstraße. Nach Erfindung der Eisenbahn erschien er in dieser neuen 
Form und verschwand seitdem nicht mehr, kam auch nicht mehr zur Rube. 
Zn den siebziger Zahren des vorigen Jahrhunderts versuchte ein englischer 
Unternehmer die Erlaubnis zum Bau einer Eisenbahn auf einer Strecke 
zu erhalten, die von dem kleinasiatischen Hafen Alexandrette nach Bagdad 
gehen sollte. Aus dem Plane wurde aber ebensowenig etwas, wie aus spä- 
teren Projekten, die entweder Teile oder die ganze Strecke betrafen. Ourch--- 
weg beruhten diese Pläne auf dem Gedanken: das ZInnere der asiatischen 
Türkei durch eine Bahn dem großbritannischen Handel zu erschließen 
und dem großbritannischen Einflusse dienstbar zu machen, welche in einen 
von England beberrschten Hafen des Mittelländischen Meeres mündete. 
Der Hafen von Alexandrette z. B. wird von der England gehörigen Znsel 
Cppern beherrscht. Hier schon lag ein grundsätzlicher Unterschied zwischen 
den deutschen und den großbritannischen Bahnplänen: die großbritan- 
nischen woliten den Anfangspunkt der Bahn an das Mittelmeer legen, 
der deutsche Plan ließ die Bahn von Konstantinopel, der Hauptstadt des 
Reiches, ausgehen. Eine solche Bahn mußte zum Rückgrate des Reiches 
werden, jede andere auf seine Schwächung und Zersplitterung arbeiten. 
Das war der eine Grund, weshalb Abdul Hamid, abgesehen von der schwie- 
rigen Finanzierungofrage, alle Bahnpläne abgelehnt hatte. Ihm war 
klar, daß eine von England gebaute Bagdadbahn, einerlei, ob sie von 
Alexandrette oder von Konstantinopel ausging, den Berlust der Zntegrität 
der Türkei und der Souveränität des Sultans nach sich ziehen müsse. 
Solche Besorgnisse konnte Abdul Hamid binsichtlich Deutschlands auch 
bei einer unfreundschaftlichen deutschen Politik schon deshalb nicht hegen, 
weil das Deutsche Reich weder zu Lande an die Türkei grenzte, wie 
Rußland, noch zur See die Herrschaft besaß, also einem unbedingt über- 
legenen Widerstande der anderen großen Land- und Seemächte be- 
gegnet wäre. In dieser tatsächlichen und unabänderlichen Lage der Ber- 
bältnisse bestand mithin eine unbedingte Garantie dafür, daß die Aus-
	        
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