Orientpolitik und Bosnische Krisis. 339
führung der deutschen Pläne der Türkei niemals zum Schaden gereichen
konnte.
Schon im Herbste 1888 erhielt eine deutsche Gesellschaft die Kon-
zession zum Bau einer Bahnstrecke in Kleinasien. Diese Strecke und ihre
Bewilligung bildet den Anfang der Bagdadbahn, Konzessionen für wei-
tere Teilstrecken folgten in den Jahren 1893 und 1905 (bei vorläufigen
Abmachungen 1889 und 1902). Vorgreifend bemerkt sei, daß 1908 und
1911 neue Abmachungen folgten und seit 1911 bie zum großen Kriege
mit Unterbrechungen fortwährend international verhandelt wurde.
War es Großbritannien, Rußland und Frankreich schon sehr uner-
wünscht und ärgerlich, daß Deutschland als neuer erfolgreicher Bewerber
um türkische Eisenbabnkonzessionen auftrat, so erregte das Bertrauen
des Sultans zum Deutschen Reiche steigende Besorgnis in London, Peters-
burg und Paris. Man versuchte durch die bestehende internationale Kon-
trolle der türkischen Finanzverhältnisse allen deutschen Plänen entgegen-
zuwirken. Den Bagdadbahnplan hielten die anderen Großmächte, ähnlich
übrigens wie das große deutsche Flottengesetz, für ein papiernes Pro-
gramm, welches zwar großartig aussähe, aber eben auf dem Papier blei-
ben werde. So betrachtete Großbritannien während der neunziger Zahre
die Bagdadbahnpläne von oben herab. Ze weiter aber der Bahnbau
vorschritt, desto mißtrauischer und widerstrebender wurde man in London.
Bei Rußland war von Anfang an Widerstreben gegen Stärkung der Türkei
durch ein Eisenbahnnetz vorhanden gewesen, denn man war jeder Stär-
kung des Türkischen Reiches grundsätzlich abgeneigt. Am unangenehm-
sten waren den Russen die Pläne Abdul Hamids, im Norden von Klein-
asien, in Türkisch Armenien und Kurdistan Eisenbahnen zu bauen, welche
nicht etwa unter russischer oder französischer Kontrolle gestanden hätten.
Abdul Hamids Absichten aber gingen in den neunziger JZahren gerade
darauf hinaus, den Norden Kleinasiens durch Eisenbahnen an sein Reich
fester anzuschließen und russischen Angriffen gegenüber die Möglichkeit
des Aufmarsches türkischer Truppen zu erhalten, ferner den von Rußland
ebenso wie von England stets geschürten Aufständen in Armenien schnell
erfolgreich begegnen zu können. Nach den anfänglichen, von Abdul Hamid
leitend beeinflußten Plänen sollte die kleinasiatische und in ihrem An-
schlusse die Bagdadbahn erbeblich weiter nördlich geführt werden, als es
nachher geschehen ist. Rußland verhinderte es und verpflichtete die tür-
kische Regierung vertraglich: ohne Rußlands ausdrückliche Zustimmung
keinerlei Bahnen in Nordkleinasien zu bauen, jedenfalls nicht einer aus-
ländischen Gesellschaft den Bau zu übertragen oder zu gestatten. Die Folge
war, daß die Bagdadbahn später anstatt im Nordosten bei Angora, im Süd-
westen bei Konia sich an die kleinasiatische Bahn anschloß. Damit war
227