Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Orientpolitit und Bosnische Krisis. 349 
  
1905 stand also die damals im vollen Werden begriffene Tripelentente 
vereint auf dem Balkan und vereint der Türkei feindlich und lauernd 
gegenüber. 
Im Hochsommer 1905 war König Eduard wieder in Wien, um Kaiser 
Franz Joseph und die verantwortlichen Staatsmänner der Doppelmon-- 
archie für seine Balkanpolitik zu gewinnen. Die Mürzsteger Konvention 
war weggefegt, und das neue ,europäische Konzert“ diente Großbritan-- 
nien, um die Finanzkontrolle der Türkei im Einverständnisse mit seinen 
Freunden zu handhaben. Großbritannien verweigerte der Türkei z. B. 
die Erhöhung ihrer Einfuhrzölle, bis es Konzessionen erhalten hatte. 
Überall empfand die Türkei den englischen Druck und die englische 
Feindseligkeit, und Deutschland sah den englischen Einfluß stärker und 
erfolgreicher denn je gegen die Möglichkeit des Baues der Bagdadbahn 
arbeiten. 
Zm Zahre 1906 war, wie früher dargelegt worden ist, die britisch- 
russische Einigkeit de facto bereits vorhanden, und man darf annehmen, 
daß Rußland damals für seine Balkanpolitik, wie für seine Absichten 
auf Armenien freie Hand von Großbritannien erhalten hat. Rußland, 
Frankreich und Großbritannien standen ebenso geschlossen gegen den 
Weiterbau der Bagdadbahn und jedes Wachsen des deutschen Einflusses 
in der Türkei, wie sie geschlossen standen für Förderung der großserbischen 
und überhaupt der neoflawischen Bestrebungen, außerdem der jungtür- 
kischen Propaganda, welche bereits seit langen Jahren auf Sturz des 
Sultans Abdul Hamid ausging und ihn vorbereitete. Oie beiden alten 
Antagonisten, Großbritannien und Rußland, fanden sich in gemeinsamem 
Hasse gegen das Deutsche Reich und in gemeinsamer Besorgnis vor den 
Erfolgen deutscher Wirtschaftstüchtigkeit im Orient zusammen. Sie er- 
kannten, daß auch in diesem Sinne die Balkanhalbinsel Berbindung und 
Weg zwischen Zentraleuropa und dem Orient bildete. Das Motto auch 
dieser Politik war Isolierung Deutschlands, die Frage vorläufig noch, 
ob Osterreich-Ungarn durch Drohung und Lockung vom deutschen Bundes- 
genossen loszureißen oder zusammen mit ihm als dem früher oder später 
zu vernichtenden Feind selbst zu zertrümmern sei. 
Der seit 1906 die auswärtige Politik Osterreich-Ungarns leitende 
Minister, Freiherr v. Aehrenthal, hatte nicht vermocht, die ungünstige 
Wendung infolge des Dazwischentretene der britischen Diplomatie zu ver- 
hindern. Um so mehr war er der Auffassung, daß es für Österreich- 
Ungarn höchste Zeit sei, in seiner auswärtigen Politik Kraft und Willen 
zu zeigen und durch eine energische Aktion zu bekunden, daß Osterreich- 
Ungarn nicht beabsichtige, alo Balkanmacht abzudanken. Im ZJanuar 
1908 verkündete Aehrenthal in den Delegationen: Osterreich-Ungarn habe
	        
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