Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

352 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
politisches Ergebnis haben werde. — Die Trinksprüche in Reval waren 
vorsichtig und korrekt gehalten, aber ausdrücklich wiesen sie hin auf die 
tatsächliche politische Tragweite der russisch-englischen Ubereinstimmung, 
wenn auch die Abmachungen einen begrenzten Charakter hätten. König 
Eduard sprach von der befriedigenden Regelung einiger wichtiger Zu- 
kunftsfragen in freundschaftlicher Weise. Sein Unterstaatssekretär Har- 
dinge und der russische Minister Iswolski veröffentlichten eine amtliche 
Mitteilung: die beiden Minister hätten sich aufs neue von dem gegensei- 
tigen Wunsche Rußlands und Großbritanniens überzeugen können, mit 
allen Mächten die besten Beziehungen aufrecht zu erhalten und keine von 
ihnen über ihre Ziele zu beunruhigen, sei es binsichtlich der Spezial- 
abkommen oder der allgemeinen Politik der beiden Mächte. Beides könne 
mur zur Aufrechterhaltung des Friedens beitragen. 
Das waren teils allgemeine Phrasen, teils allerdings eine etwas 
verdächtige Berteidigung des Wesens der britisch-russischen Nberein-- 
stimmung; Berteidigung ohne vorbergegangenen Angriff ist an sich ver- 
dächtig nach dem französischen Sprichwort, daß, wer sich entschuldigt, sich 
anklagt. Diese damals schon vorhandene Auffassung ist später als richtig 
bestätigt worden, denn man erfuhr einwandfrei, daß in jenen Tagen 
von Reval die beiden Monarchen bzw. Hardinge und Zswoleki sich darüber 
einig geworden sind, im Bereine mit Frankreich und den Balkanstaaten 
den Vernichtungskrieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn zu 
führen, sobald Rußland seine Armee reorganisiert haben würde. Oie 
russischen Fachleute haben damals einen Zeitraum von sechs bis acht Zahren 
dafür angegeben, also als Termin die Zahre 1914—1916. Wie es britische 
Gewohnheit war, wurden keine schriftlichen Abmachungen getroffen. Sie 
waren nicht nötig, denn man wußte auf beiden Seiten, daß man die 
gleichen Ziele hatte und den gleichen Gegner vernichten wollte. Der Zeit- 
punkt für solch weittragende Abmachungen gerade damals war richtig 
gewählt, denn der Kreis der Mächte durch die britischen Ententen und 
Vereinbarungen war geschlossen, nachdem die britische Politik auch in 
der europäischen Balkanpolitik die Führung gewonnen und folgerichtig 
die bieberige russisch-österreichische Balkanentente gesprengt hatte. 
Die Stellung Deutschlands zum Aehrenthalschen Sandschakbahn-- 
projekt war nach dem Gesagten von vornherein gegeben. Bülow erklärte 
im Reichstag: man habe dieses Projekt mit Sympathie begrüßt, da unser 
Bundesgenosse nur von einem Rechte Gebrauch mache, anderseits diese 
Vermehrung der Verkehrswege ein wirksames Mittel bilde, „um den Stand 
der Kultur in jenen Gebieten zu heben und damit auch die wilden kon- 
fessionellen und Stammesleidenschaften zu zügeln ... Aus dem Grund- 
#atz der Aufrechterhaltung des Status quo ergibt sich ferner, daß unsere
	        
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