Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

364 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
dem Gegenstand steigender Eifersucht Italiens in Berbindung mit der 
Tatsache, daß eine montenegrinische Prinzessin auf dem italicnischen 
Throne saß. 
In Frankreich wünschte man keinen Krieg. Einesteils mögen die tür- 
kischen Interessen der Pariser Hochfinanz mitgewirkt haben, anderseits 
wußte man genauer als irgend jemand, daß der russische Bundesgenosse 
einen Krieg damals nicht führen konnte. Diese Uberzeugung ging so weit, 
daß gegen Ende des Jahres 1908 das die Ansichten der französischen Re- 
gierung wiedergebende Blatt „Le Temps“ feierliche Warnungen an Eng- 
land richtete, man möge in London nicht zum Kriege treiben. Einen 
schlagenderen und unanfechtbareren Beweis für den wahren Sitz der kriegs- 
erregenden Kräfte damals konnte es nicht geben. Interessant ist, gerade 
an dieser Stelle zu erwähnen, daß vor der Bosnischen Krisis im Jahre 1908. 
von England aus durch die Presse versucht wurde, Frankreich sowohl wie 
Rußland den Gedanken nahezulegen, die Tripelentente zu einem Orei- 
bunde durch feste Bündnisverträge umzugestalten. Die französische Presse 
antwortete darauf in deutlicher Ablehnung: an derartiges sei erst zu 
denken, wenn Großbritannien eine genügend starke und schlagbereite Land- 
macht zur BVerwendung auf dem Kontinent bereit habe. Die Ergebnisse 
der Anstrengungen Lord Haldanes seit 1906, eine solche Landmacht zu 
schaffen, genügten den Franzosen damals noch nicht. Auch in Rußland 
winkte man ab. Keine der beiden Festlandmächte wünschte einen Krieg, 
welcher, wie damals, ihnen schwerstes Risiko gebracht hätte, nicht aber dem 
Britischen Reiche, welches unter verhältniomäßig geringen Kosten und 
Verlusten Deutschland seines Handels und seiner Kolonien usw. hätte 
berauben können. Das ist offenbar aber der britische Gedanke in jenen 
Jahren gewesen im Verein mit der Aberzeugung, daß Österreich-Ungarn 
sofort zusammenbrechen werde. Großbritannien konnte dann auch, so 
dachte man, durch ein Geschwader vor Konstantinopel die „türkische Frage“ 
im Sinne der britischen Politik zur Erledigung bringen. Noch risikoloser 
wäre natürlich gewesen, wenn das Deutsche Reich über eine rein diplo- 
matische Stützung Österreich-Ungarns nicht hinausgegangen wäre, das 
letztere also einer Kriegsdrohung gegenüber im Steiche gelassen hätte. 
Dann war die Balkanfrage und die Orientalische eo ipso im britischen Sinne 
erledigt und wahrscheinlich der deutsch-österreichische Zweibund gesprengt. 
Wie gesagt, ließ Fürst Bülow aber von vornherein keinen Zweifel über 
den deutschen Standpunkt und dessen Festigkeit. Dadurch wurde die Krisis 
zur Lösung gebracht, und zwar zur friedlichen und im Sinne der Politik 
der Mittelmächte. 
Die internationale Spannung dauerte in verschiedener Stärke vom 
Oktober 1908 bis zum März 1909. Nachdem England und Rußland
	        
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