Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

366 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
Gefahr auszuschließen. Da diese Vorbedingungen angesichte der Lage der 
Dinge nicht geschaffen werden konnten, so darf man annehmen, daß Fürst 
Bülow im Grunde von Anfang an gegen eine Konferenz gewesen ist. 
Angesichts der deutsch-österreichisch-ungarischen Ruhe und Festigkeit, 
ja, man kann sagen, daß dieses Mal auch Zielbewußtsein vorhanden war, 
schwand den anderen Mächten von Monat zu Monat gründlicher die Zllu- 
sion, daß man durch Druck etwas erreichen könne. Baron Aehrenthal, unter- 
stützt von der deutschen Diplomatie, gelangte nach langen Unterhand- 
lungen schließlich, Ende Februar 1909, mit dem Türkischen Reiche zu einem 
Sonderabkommen, das den neuen Stand der Dinge anerkannte: Österreich- 
Ungarn bot der Türkei eine Geldentschädigung von 42 Millionen Mark. 
Baron Aehrenthal hatte damit zwar seinen anfänglichen Standpunkt, daß 
die Türkei durch die Annexion nichts verloren, jedenfalls durch die Rück- 
gabe des Sandschaks Nowibasar genügend entschädigt sei, verlassen. In 
Osterreich ist diese Inkonsequenz vielfach als Fehler ausgelegt worden. 
Wir müssen uns in diesem Zusammenhange versagen, näher auf die Frage 
einzugehen. 
Nun war noch Serbien übrig. Großbritannien und Rußland hatten 
ihr großes Spiel bereits aufgegeben, jedenfalls äußerlich, und so ver- 
einigten sich Anfang März 1909 die russische, die britische, die französische 
und die italienische Regierung, um auf Serbien einzuwirken, es möge auf 
seine Kompensationsforderungen verzichten. Die serbische Regierung tat 
demgegenüber den geschickten und möglicherweise ihr suggerierten Schritt, 
daß sie erklärte: sie lege ihre Angelegenheit in die Hände der Großmächte. 
Ihnen schob die serbische Regierung mithin die diplomatische Niederlage 
zu. ODamit stieg die Erregung auf beiden Seiten wieder, die Kriegsvor- 
bereitungen wurden fortgesetzt. 
Da griff Fürst Bülow entscheidend ein. Alle genannten Mächte hatten 
anerkannt und erklärt, daß die serbische Antwort unbefriedigend sei. Einer 
neuen Antwort wich Serbien aus, indem die dortige Regierung erklärte, 
die Mächte bätten ja selbst ihre Zustimmung zur Annexion nicht gegeben. 
NRun war jene letzte Einwirkung der Mächte auf Serbien unter Führung 
der russischen Regierung erfolgt. Diese Sachlage benutzte Fürst Bülow, 
um der russischen Regierung freundschaftlich zur Erwägung zu stellen: ob 
es nicht richtig sei, Serbien seinen genannten letzten Vorwand derart zu 
entziehen, daß die Großmächte einzeln der österreichisch-ungarischen Re- 
gierung ihre Zustimmung zur Annexrion aussprächen. Ourch diese sehr 
geschickte Wendung wurde sozusagen das Eie gebrochen. Die russische 
Regierung konnte in einem Eingehen auf den Bülowschen Vorschlag kein 
der russischen Würde widersprechendes Nachgeben erblicken, weil sie eben 
selbst vorher Serbien gegenüber vorstellig geworden war, um dieses von
	        
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