Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Orientpolitik und Bosnische Krisis. 367 
  
seinen Forderungen abzubringen. Aus eigener Initiative dagegen hätte 
die russische Regierung den von Bülow angeregten Schritt nicht tun 
können und ebensowenig eine der anderen Ententemächte, da diese sich 
biöher alle gegen Osterreich gestellt hatten. Diese unscheinbare Anregung der 
Berliner Regierung beseitigte ebenfalls die von Serbien noch immer dro- 
hende Kriegsgefahr. Daneben kann nicht zweifelhaft sein, daß der Deutsche 
Kanzler durch den Petersburger Botschafter der russischen Regierung 
nochmals hat andeuten lassen, das Deutsche Reich sei bis in die letzten 
Konsequenzen hinein fest entschlossen, auch militärisch bereit. Bis zuletzt 
rechneten die Serben: man würde nur loszuschlagen brauchen, um die 
Unterstützung Rußlands und damit den großen europäischen Krieg zu 
erhalten. Anderseits bestand für Rußland die unangenehme Auesicht, ent- 
weder, ohne kriegsbereit zu sein, sich in diesen großen Krieg hineinzube- 
geben oder Serbien im Stiche zu lassen und so eine schwere Einbuße an 
Ansehen auf dem Balkan und dem ganzen Slawentum gegenüber zu 
erleiden. Auch aus dieser Berlegenheit half nunmehr der Bülowsche Vor- 
schlag den Russen, jedenfalls diplomatisch, heraus. Iswolski ging auf ihn 
ein, die übrigen Kabinette folgten: Die Bosnische Frage war erledigt. 
Am 25. März telegraphierte Freiherr v. Aehrenthal an den öster- 
reichisch-ungarischen Botschafter in Berlin, Baron v. Szögvpenyi-Marich: 
„Ich ersuche Eure Exzellenz, dem Herrn Reichskanzler meine dankbare Be- 
friedigung über das Resultat des von Graf Pourtalês (dem deutschen Bot- 
schafter in Petersburg) unternommenen Schrittes, von welchem ich mir 
eine günstige Rückwirkung auf die ganze Situation erwarte, zum Auedruck 
zu bringen.“ Am 26. März lief die Zustimmung Jswolskis ein, und in einer 
Depesche an den österreichisch-ungarischen Botschafter zu London spricht 
Baron Aehrenthal, der im übrigen sehr sparsam mit derartigen Wendungen 
war, noch einmal von der „erfreulichen Zustimmung Herrn Zswolskis“. 
Nach ihrem Eintreffen bedürfe es „wohl nur eines bestimmten NRates der 
von England geführten Mächte in Belgrad, um den Frieden zu sichern“, 
und daß „ich daher mit Vertrauen der weiteren Entwicklung der Dinge ent- 
gegensehe"“. — Oieses Vertrauen wurde nicht getäuscht, Serbien erkannte 
nunmehr den neuen Stand der Dinge vorbehaltlos an und führte seine 
Armee auf den Friedensstand zurück. 
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Wir haben heute einen genügenden Abstand von der Bosnischen 
Krisis, um sie als Ganzes politisch einigermaßen richtig beurteilen zu können. 
Wie die dann folgenden Zahre vor dem großen Kriege zeigen, ist die Balkan- 
halbinsel und auf ihr als politischer Brennpunkt Serbien seit 1908 mit 
geringen Unterbrechungen Gefahrherd und Kriegsursache gewesen. Die
	        
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