Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Orientpolitik und Bosnische Krisis. 377 
  
auf das heftigste: es sei auf dem besten Wege, die Sicherheit des Landes 
preiszugeben. Wie stets in solchen Fragen, gab das Kabinett mit seiner Par- 
tei nicht nur die Berechtigung der Besorgnis zu, sondern versuchte zu über- 
bieten. Der erste Lord der Admiralität erklärte, daß Deutschland im Früh- 
jahre 1912 über siebzehn Dreadnoughts verfügen werde, obgleich er wußte 
— an der Hand des öffentlichen deutschen Flottenplanes und des Marine- 
etats, — daß es nur dreizehn sein würden. Die Oppositionspartei über- 
bot dieses wiederum und erklärte, Deutschland werde im Frühjahr 1912 
nicht nur siebzehn, sondern einundzwanzig Oreadnoughts fertig haben. 
Der Deutsche Reichskanzler und der Staatssekretär des Reichsmarineamtes 
gaben daraufhin im Reichstage ungesäumt Erklärungen dahin ab, daß 
von einer Beschleunigung der Durchführung des deutschen Flottengesetzes 
nicht die Rede sei, daß nicht einundzwanzig und nicht siebzehn, sondern nur 
dreizehn deutsche Großkampfschiffe im Jahre 1912, und zwar nicht im 
Frühjahr, sondern im Herbst fertig sein würden. Unerhörterweise nahm 
die großbritannische Regierung von dieser ihr unbequemen Erklärung keiner- 
lei Notiz, sondern ließ die „Panik“ ihren Fortgang nehmen. In Deutsch- 
land war die Folge, daß die deutsche Flottenvorlage des Winters 1907/08 
ohne Oebatte und in noch nicht dagewesener Einmütigkeit vom Reichs- 
tage bewilligt wurde. Zhre Einbringung war bereits im Herbst 1907 er- 
folgt, und sie betraf die Herabsetzung der Alterögrenze für Ersatzpflicht 
der Linienschiffe von 25 auf 20 Jahre. Diese Herabsetzung war schon längst 
notwendig gewesen, weil der schnelle Fluß der Technik die Schiffe im Ver- 
lauf von zwanzig ZJahren veralten läßt. Man folgte mit dieser Maßnahme 
nur dem bestehenden Gebrauche der alten großen Seemächte, und die 
Folge war, daß drei große Schiffe früher ersatzpflichtig wurden und ihr 
Baubeginn in die Jahre 1908, 1909 und 1910 fiel. 
In England hatte die sogenannte Panik als nächstes den Erfolg, daß 
acht große Schlachtschiffe — ein nie dagewesenes Bauprogramm — für 
das Jahr 1909 bewilligt wurden. Schon zu Ende des Vorjahres hatte der 
britische Premierminister A#squith als grundsätzlichen Standpunkt der bri- 
tischen Marinepolitik aufgestellt, daß die Flotte zehn Prozent Kraftüber- 
schuß über eine Koalition der beiden nächststärksten Flotten haben müsse. 
Im Frühjahr 1909 drängte die öffentliche Meinung immer mehr, man solle 
ein für allemal doppelt so stark zur See sein wie Deutschland. Dabei be- 
trug im Jahre 1909 die großbritannische Kampfflotte an Stärke mehr als 
das Dreifache der deutschen. Auch daraus ging die bewußte Unwahrhaftig- 
keit jener „Panik“ hervor. Wie üblich, kam im britischen Parlament 
übrigens auch in der deutschen Presse die Rede auf das beliebte Gebiet 
der Rüstungeeinschränkungen. Fürst Bülow gab dazu im Reichstage die 
Erklärung ab: es hätten wohl unverbindliche Gespräche zwischen maß-
	        
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