Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

378 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
gebenden deutschen und englischen Persönlichkeiten über diesen Gegen- 
stand stattgefunden, „niemals aber ist ein englischer Vorschlag gemacht 
worden, der als Basis für amtliche Verhandlungen hätte dienen können"“. 
Nichtsdestoweniger fuhr man in der britischen Offentlichkeit zu behaupten 
fort, unter stillschweigender Billigung der Regierung, daß tatsächlich bri- 
tische Borschläge gemacht, aber von Deutschland zurückgewiesen worden 
wären. Welche Dimensionen jene auf Unwahrheit beruhende britische 
Agitation annahm, die mit der „deutschen Gefahr“ getrieben wurde, 
offenbarte sich drastisch auch darin, daß die selbstregierenden britischen Ko- 
lonien in aufrichtige Angst und Empörung wegen der schrecklichen Gefahr 
versetzt wurden, welche Großbritannien von Deutschland drobe. Die bri- 
tische Kolonialpresse und die Parlamentsdebatten in den Kolonien waren 
voll von sittlichem Zorn über die deutschen Angriffsabsichten, über dieses 
frivole Eroberertum, das nur aus Eifersucht und Raubsucht den Frieden der 
Welt stören wolle. Australien und Neuseeland schritten zur Tat und stellten 
dem schwer bedrohten Mutterland das Geld für zwei große Panzerschiffe 
zur Verfügung. Auch in den Bereinigten Staaten von Amerika, sogar 
in einem Teile der deutsch gedruckten Presse, wurden laute Entrüstungs- 
rufe ausgestoßen. Mit wenigen Ausnahmen ergriff man Partei für den 
angelsächsischen Better. Dieser benutzte, praktisch wie er ist, dabei fort- 
während laute Angstrufe ausstoßend, die Gelegenheit, um die Kolonien 
fester an sich zu schließen und nicht nur zu einmaligen, sondern zu dauern- 
den Opfern für die Flotte zu bewegen, auch dankbar und wehmütig an die 
Vereinigten Staaten von Amerika zu appellieren. Noch im Jahre 1910 
hielten amerikanische Seeoffiziere, die an Bord eines Geschwaders bri- 
tische Häfen besuchten (in Gegenwart des Botschafters), begeisterte blut- 
rünstige Reden: Amerika werde den letzten Dollar opfern, um dem be- 
drohten alten Mutterlande in einem Kriege gegen Deutschland zur Seite 
zu stehen. Die Regierung in Washington mißbilligte zwar die Außerungen, 
aber diese blieben nichtsdestoweniger ein beachtenswertes Stimmungs- 
somptom. ANeben den Anerbietungen und Verpflichtungen seitens bri- 
tischer Kolonien war eine Reihe gewaltiger Flottenbudgets die Folge der 
britischen „Panik“ von 1909. 
Sir Edward Grey aber erklärte im Unterhause, man könne Deutsch- 
land zwar keinen BVorwurf daraus machen, daß es seine Seerüstungen nicht 
einschränken wolle, aber er bedaure lebhaft die deutsche Ablehnung der 
englischen Borschläge. — Tatsächliche Borschläge, die eine Grundlage für 
Veränderungen hätten geben können, waren aber, wie gesagt, von der 
britischen Regierung gar nicht gemacht worden. Greyp sagte mithin eine Un- 
wahrheit, um, wie stets, den Eindruck zu erwecken, als ob das Deutsche 
Reich zum Angriff gegen Großbritannien rüste, sich jedenfalls ein Werk-
	        
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