Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Orientpolitik und Boenische Krisis. 381 
  
genügend vertreten glaubten. So wurde die internationale Appellinftanz 
beschlossen und gleichzeitig ein Plan über die Art aufgestellt, wie der inter- 
nationale Prisenhof zu wirken habe, wieviel Richter jeder der — übrigens 
unzähligen — auf der Haager Konferenz vertretenen Staaten für den 
Prisenhof stellen dürfe. Nach den Erfahrungen des großen Krieges braucht 
man nicht unzufrieden zu sein, daß, wie vorgreifend bemerkt sei, der inter- 
nationale Prisenhof nicht Wirklichkeit geworden ist. Ganz abgesehen davon, 
daß im Kriege England ihn nicht als Autorität anerkannt haben würde, hätte 
sich, gerade in Beziehung auf Deutschland, bei jeder Entscheidung des 
Prisenhofes jene alte Majorität von der Konferenz zu Algeciras nur wieder- 
bolt; in weiterer Folge hätte der ganze Apparat versagen müssen. Damals 
jedoch nahm man diese Dinge sehr ernst und freute sich — ganz besonders 
die Pazifisten — der hergestellten internationalen Gerichtsbarkeit. Man 
erkannte aber an, daß eine Gerichtsbarkeit alo Grundlage und um über- 
haupt ausgeübt werden zu können, eines Rechtes bedürfe. Um diesem 
Mangel abzuhelfen, lud die Londoner Regierung am Ende eines bereits 
seit 1907 gepflogenen Meinungsaustausches die Hauptseemächte 1908 ein, 
zu Ende jenes Jahres eine Konferenz zu London zu beschicken. Dort 
sollte ein internationales Kriegsrecht vereinbart werden. Das Ergebnis 
der Londoner Konferenz war die seit dem Kriege so häufig genannte und 
besprochene Londoner Deklaration. 
Der Grundgedanke der Londoner Besprechungen ebenso wie des inter- 
nationalen Prisenhofes war ausgesprochenermaßen: der Schutz der Neu- 
tralen und ihrer Schiffahrt im Seekriege durch internationale Garantie. 
In monatelangen Verhandlungen wurde man sich über eine große An- 
zahl von Bestimmungen einig, so über Begriff und Handhabung von Bann- 
ware, über Blockade, über Flaggenwechsel usw. usw. In anderen Punkten, 
so in erster Linie über die Umwandlung von Handeleschiffen in Kriegsschiffe 
und umgekehrt, konnte eine Einigkeit nicht erzielt werden. Die Londoner 
Deklaration umfaßt über 60 Artikel und wäre in der Tat zu ihrem aller- 
größten Teile geeignet gewesen, eine brauchbare und gerechte Grund- 
lage für die Führung des Seekrieges, zumal insofern er sich gegen den See- 
handel richtet oder ihn berührt, zu bilden. Auf der Londoner Konferenz 
glaubten sogar die britischen Vertreter sich dem Gewichte der Gründe der 
Gerechtigkeit und der Billigkeit der Sache nicht immer auedrücklich entziehen 
zu dürfen, um so weniger, als die großbritannische Regierung selbst es 
gewesen war, welche die Konferenz angeregt und die Einladungen an die 
führenden Seemächte hatte ergehen lassen. 
Sobald das Ergebnis der Konferenz, also die Deklaration, öffentlich 
bekannt und begriffen worden war, begann in Großbritannien eine bittere, 
leidenschaftliche Kritik an ihr. Man erklärte sie für ein „in Deutschland
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.