Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

404 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
wäre die Gelegenheit, mit Frankreich friedlich und erfolgreich ins reine 
zu kommen, günstiger gewesen, denn die Geschlossenheit der antideutschen 
Koalition bestand damals noch nicht in dem späteren Grade. Vor Alge- 
ciras war außerdem Frankreich noch nicht Gebieter des Landes Marokko 
und des Sultans, wie tatsächlich nachher im Jahre 1911. Einwendungen 
gegen die Zweckmäßigkeit eines deutsch-französischen Sonderabkommens 
vor Algeciras können auch unter diesem Gesichtspunkte nicht als stichhaltig 
angesehen werden. Um so schwerer belasteten Algeciras und die Folgen 
dieses internationalen Vertrages die deutsche Liquidierungspolitik von 1911. 
Die Verhandlungen von 1911 und ihre Ergebnisse sind nur verständ- 
lich, wenn man sich vor Augen hält, daß die deutsche Regierung mit der 
Marokkofrage ein für allemal reinen Tisch machen wollte und bierin ihr 
eigentliches Ziel erblickte. Bon vornherein betrachtete sie die Meinungs- 
verschiedenheiten im Laufe der deutsch-französischen Berhandlungen und 
auch deren Gegenstand als nicht mit der Ehre des Deutschen Reiches ver- 
knüpft. Deshalb wurden die Berhandlungen nicht abgebrochen, sondern 
durch deutsche Nachgiebigkeit fortführbar erhalten. Die Regierung wollte 
aus dem Handel keinen Streitfall machen und ließ von ihren Forderungen 
ab, wo sie der Auffassung war, den französisch-englischen Widerstand nicht 
besiegen zu können. Ob das richtig, ob es ein Fehler war, — darüber können 
die Ansichten verschieden sein. 
Die Verhandlungen würden schneller und wohl auch günstiger ver- 
laufen sein, wenn das Bestreben der deutschen Regierung, mit Frankreich 
allein zu verhandeln, von Erfolg begleitet gewesen wäre. Die großbritan- 
nische Regierung dagegen behandelte die Sache schon im Laufe des Zuli 
als ihre eigene. Die englische Presse tobte, sprach von einer Wiederholung 
der Tangerreise, erging sich in Herausforderungen an Oeutschland und in 
Unverschämtheiten gegen den Deutschen Kaiser. England müsse, so hieß 
es nach französischer Inspiration, mit Frankreich zusammen einige Kreuzer 
nach Agadir schicken, um die Lage klarzustellen. Deutschland wolle sich an 
der atlantischen Marokkoküste festsetzen, Frankreich seinen Marokkobesitz 
nehmen und durch einen atlantischen Hafen als Stützpunkt die britische See- 
berrschaft bedrohen. England werde so etwas nie dulden. Oie deutsche 
Politik handle im Widerspruch zur Algecirasakte und zum Februar- 
abkommen von 1909. 
In Frankreich tat man alles, um die großbritannische Bevölkerung in 
der Ansicht zu befestigen, daß Deutschland ein Stück Marokko wolle, Frank- 
reich mit Krieg bedroht werde, Deutschland binsichtlich afrikanischer Kom- 
pensationen ungeheure, unerfüllbare Forderungen stelle usw. So wurde in 
Großbritannien angesichts der Berliner Berhandlungen die künstliche Ent- 
rüstung immer stärker. Am 21. Zuli hielt der derzeitige großbritannische
	        
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