Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Nach zwei Fronten. 
  
  
arbeiten zu können. Erst Anfang der achtziger Jahre konnte, als starke 
politische Gegenkraft, die panslawistische Bewegung, geführt von Katkow 
und Skobelew, in die Erscheinung treten. Frankreich zählte bis Mitte 
der achtziger Zahre, auch noch später zeitweise, für die russische Politik 
nicht als voll, vor allem nicht für den Zaren. Niemand am russischen 
Hofe glaubte an Beständigkeit der inneren Berhältnisse in Frankreich, 
und der Zar Alexander III. war der Ansicht, daß man politisch auf eine 
Macht nicht bauen dürfe, in der jeder Kabinettswechsel grundstürzende, 
nie vorherzusehende Ereignisse und Entwicklungen bringen konnte. 
Frankreich war in seiner Eigenschaft als Republik der Herd der Revo- 
lution und des politischen Radikalismus in Europa und bildete insofern 
einen schroffen Gegensatz zum Reiche des Zaren, der sich als Bertreter 
und Personifizierung des legitim-monarchischen Gedankens fühlte und 
zu betätigen strebte. Frankreich war außerdem die im großen Kriege 
niedergeworfene, geschwächte und isolierte Macht, der selbst Gort- 
schakow als unerläßliche Bedingung, um für eine Allianz begehrenswert 
zu sein, erklärt hatte, sie müsse stark sein und nicht an Revanche denken. 
Dieses „Starksein“ bedeutete nicht nur Heereskraft, sondern vor allem 
die Solidität der staatlichen Maschine und die Sicherheit stetigen Funk- 
tionierens auch in Krisenzeiten. 
1882 schied der alte Fürst Gortschakow aus dem Amte, Herr v. Giers 
trat an seine Stelle, jahrelang bestrebt, mit dem Oeutschen Reiche in 
guten Beziehungen zu leben. In Frankreich begann unter Ferrp, von 
Bismarck begünstigt, eine koloniale Ausdehnungspolitik im fernen 
Osten, bis im Jahre 1885 das unglückliche Gefecht von Langson dieser 
Periode ein Ende machte und Ferrp stürzte. Ferrp hat später von sich 
gesagt, er habe sich ständig bemüht, mit Rußland in engere Bezie- 
hungen zu kommen. Das entspricht auch den Tatsachen, aber es gelang 
ihm nicht, und zwar wesentlich deshalb, weil seine Kolonialpolitik Frank- 
reich auf Deutschland anwies und in Europa von Biemarck abhängig 
erhielt. 
1885 wurde der Dreibund geschaffen, und im Frühjahr 1884 gelang 
es Biemarck, Neutralitätsverträge zwischen dem Deutschen Reiche, 
Rußland und ÖOsterreich-Ungarn zustande zu bringen; drei Jahre vorher 
hatte Zar Alexander III. den Thron bestiegen. Die französische Hoff- 
nung auf Rußland verschwand wieder, die Stellung des ODeutschen Reiches 
war gewaltiger, beherrschender, anscheinend auch gesicherter denn je, 
Frankreich isoliert, unsicher und wenig geachtet. Nach Ferrys Sturz 
gewann die NRevanchepartei beherrschendes Übergewicht: man wollte 
nicht mehr in „nebelhaften Kolonialunternehmungen“ die Kräfte zer- 
splittern, sondern alle Kräfte auf Konsolidierung der europäischen Stel- 
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