Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Potsdam — Agadir — Teipolis. 1909—1912. 417 
  
überseeischen Besitz in der Linie einer aufrichtigen Dreibundpolitik festgelegt 
worden, so kann man nicht feststellen, ob diese Parole aufrichtig gemeint 
war. Rein sachlich betrachtet wäre in der Cat eine solche Politik die rich- 
tige für Ftalien gewesen, und zwar auf der Basis eines engeren Zusammen- 
schlusses der Dreibundmächte, besonders auf dem Gebiete der Mittelmeer- 
politik. Gerade der Minister San Giuliano hat in den Jahren 1912 und 
1915 häufig und nachdrücklich betont, daß er von einer Adriatischen Frage 
nichts wissen wolle, daß Ftalien und SOsterreich-Ungarn dort vielmehr gleiche 
Interessen hätten und sich einigen könnten. San Giuliano wollte ebenso- 
wenig etwas wissen von der Vorherrschaft irgendeiner Macht im Mittelmeer. 
Anfang 1913 sagte der Minister unter dem Beifalle der Kammer: „Italien 
und Osterreich-Ungarn sind in Ubereinstimmung darüber, daß der gegen- 
wärtige Zustand in der Adria und das Gleichgewicht im Mittelländischen 
Meere erhalten werde. Keine Macht darf jetzt oder in Zukunft das Mittel- 
meer „mare nostro“ nennen. Es muß vielmehr das freie, allen Nationen 
gemeinsame Feld bleiben. Bei Beränderungen muß Italien gefragt werden.“ 
Es ist eine Tatsache, daß in jenen Jahren, besonders um das Jahr 1913, 
auf deutscher wie italienischer Seite der Gedanke einer italienisch-öster- 
reichisch-ungarischen Annäherung maritimer Natur, letzten Endes einer 
Flottenkonvention ernsthaft erörtert worden ist. Österreich-Ungarn ver- 
bielt sich diesen und anderen italienischen Annäherungsbestrebungen gegen- 
über stets mit größtem Mißtrauen. Heute wird man sagen müssen, daß 
die italienische Politik diesem Mißtrauen recht gegeben habe, aber trotzdem 
liegt darin nicht der Beweis, daß sich nicht doch Besseres hätte erreichen 
lassen. 
Oie deutsche Regierung war damals der Ansicht und der Hoffnung, 
es werde gerade wegen der neuen Nittelmeerstellung Italiens möglich 
sein, eine innigere und aufrichtigere Berbindung Italiens mit dem Orei- 
bunde zu erreichen als bisher. Wie geschildert worden ist, war vorher lange 
Zeit der deutsche Standpunkt: mit Ztalien sei nichts zu erreichen und den 
einzigen Grund, es am Dreibunde zu halten, bilde die Rücksicht auf Oster- 
reich-Ungarn im Bereine mit dem Gedanken, daß es vortellhafter sei, 
Italien nicht von vornherein in das gegnerische Lager zu treiben. Was hier- 
über hinausging, betrachtete und behandelte man mit äußerster Skepsie. 
Dazu hatte insbesondere der bis zum Jahre 1909 das Deutsche Reich zu 
Rom vertretende Botschafter Graf Monts beigetragen. Ihm folgte der 
spätere Staatssekretär des Auswärtigen v. JLagow und schlug eine posi- 
tivere Art des Wirkens ein. Ihm gelang es innerhalb verhältnismäßig 
kurzer Zeit, die Beziehungen wesentlich zu bessern und die Intimität zwi- 
schen den beiden Regierungen zu vergrößern, auch der sehr geschickten und 
konsequenten Arbeit des großbritannischen und des französischen Botschafters 
Sraf Reventlow, Heutschlande aouewärtige Polltle. 27
	        
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