Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

418 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
in Presse und in der politischen Welt mit merklichem Erfolge entgegenzu- 
wirken. Der damalige Staatssekretär des Auswärtigen v. Kiderlen-Waech- 
ter seinerseito hat vom Beginn seiner Amtstätigkeit an auf eine tätige 
und sorgsame Pflege der deutsch -italienischen und der italienisch-öster- 
reichischungarischen Beziehungen hin gearbeitet. Man legte hinfort be- 
sonderen Wert darauf, in allen auch verhältnismäßig unbedeutenden 
Fragen Meinungsaustausch mit der italienischen Regierung zu pflegen, 
um so allmählich Bertrauen und Zusammengehörigkeitsgefühl zu festigen 
und die Sphäre gemeinsamer Interessen zu erweitern und zu vertiefen. 
Der italienische Minister des Auswärtigen, Marquio di San Giu- 
liano, hat sich zu dieser Politik wiederholt bekannt, sicher nicht aus sentimen- 
talen Gründen, sondern weil er damals engen Anschluß #Italiens an den 
Dreibund mit Recht für besonders geboten hielt. Der Deutsche Kaiser traf 
im Frühjahr 1912 zu Venedig mit dem König Biktor Emanuel zusammen, 
und auch diese Zusammenkunft trug das Gepräge einer größeren Intimi- 
tät als biöher. Selbst heute nach dem großen italienischen Verrate läßt sich 
nicht in Abrede stellen, daß damals während des Tripoliskrieges der poli- 
tische Augenblick gekommen schien, die drei Dreibundmächte auf der neuen 
Grundlage gemeinsamer Mittelmeerpolitik zusammenzuschließen. Hätte 
Italien im Besitze von Tripolitanien auf seine gegen den Bestand der Euro- 
päischen Türkei und gegen Osterreich-Ungarn gerichteten Balkanziele ver- 
zichtet, hätten Osterreich-Ungarn und Italien den Kampf um die Adria be- 
graben, so wären sie in der Lage gewesen, im Mittelmeere gemeinsam eine 
gewaltige und wachsende Macht darzustellen, zur See wie zu Lande. 
Oalzu were eine energische Flottenbaupolitik und eine gemeinsame Marine- 
politik im Mittelländischen Meere notwendig gewesen. Unter dieser Vor- 
aussetzung und unter der weiteren noch einiger Friedensjahre wären die 
Flotten des Dreibundes ein sehr großer, im Norden wie im Süden vereint 
wirkender Faktor geworden, die „Lücke im Dreibunde“ würde sich ge- 
schlossen haben. Ztalien hätte das Vertrauen zu sich und zu seinen Bundes- 
genossen gewonnen, daß es auch im Kriege nicht rettungslos der englisch- 
französischen Flottenmacht preiogegeben sein würde. Gerade diese Auf- 
fassung, die schon im Zahre-1914 politisch und militärisch vorhanden war, 
ist beiläufig bemerkt eine der wesentlichen Ursachen für den italienischen 
Verrat von 1915 geworden. Die alte italienische Mittelmeerdoktrin: 
man sei auf England unbedingt angewiesen und müsse unter allen Um- 
ständen mit England geben, war nur durch Stärkung der Seemacht des 
Dreibundes im Mittelmeere zu beseitigen, und eben dazu mußte die ita- 
lienisch-österreichische Adria- und Balkanrivalität aufhören. Das Ge- 
wicht der beiden Flotten konnte dann in dieselbe Wagschale gelegt werden, 
anstatt in zwei einander mehr oder minder aufwiegende, wie bis dahin.
	        
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