Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Sendung Lord Haldanes, ihre Begleitumstände und Folgen. 423 
  
unseren Feinden werden in der Vorgeschichte des großen Krieges ein- 
gebend geschildert werden. Hier kann es sich nur um den kurzen Hinweis 
darauf handeln, wie im Jahre 1911 und 1912, also vor und nach der Marokko- 
krisis und unbeirrt durch Spannungen und Entspannungen von der bri- 
tischen Politik gearbeitet wurde, um außer Belgien auch Holland als Helfer 
im Kriege gegen Oeutschland, zum mindesten aber als britisches Glacis und 
zugleich als Brückenkopf für Großbritanniens geplanten Einfall vorzu- 
bereiten. Im gleichen „Entspannungs“jahre 1912, also nachdem Holland 
seinen früheren grundsätzlich intransigenten Standpunkt hinsichtlich der 
Alissinger Befestigungen aufgegeben hatte, indem die niederländische 
Regierung nur mit westmächtlichen Staatomännern darüber unterhandelte, 
erschien in einem französischen Blatte aus der Feder des Admirals Germinet 
ein Artikel, welcher ausführte, daß Großbritannien und Frankreich im Kriege 
mit dem Oeutschen Reiche den ÄArmelkanal durch Minen und Untersee- 
boote sperren und ihn überhaupt als ein ihrer Küstenhoheit unterstehendes 
Gewässer behandeln würden. Diese Außerungen erregten in den MNieder- 
landen große Beunruhigung und einen Vorgeschmack der Bedrückungen, 
wie sie während des großen Krieges Holland in der Tat hat erfahren müssen. 
Der Admiral wurde von seiner Regierung schnell desavouiert. Die Blif- 
singer Befestigungen, beiläufig bemerkt, sind ebenso wie die anderen Forde- 
rungen der Vorlage 1911 zunächst verschoben, schließlich in weit geringerem 
Umfange bewilligt worden. In Oeutschland maß man dieser Frage mili- 
tärisch und maritim immer nur geringe Bedeutung bei, behandelte sie 
außerdem politisch als innere Angelegenheit der Niederlande, in welche 
bineinzureden niemand das Recht habe. 
Kurz, in Großbritannien und nicht minder in den immer einfluß- 
reicher und breiter werdenden französischen Kreisen der Delcasséschen auf 
Krieg mit Deutschland drängenden Richtung betrachtete man die Ent- 
spannung des Winters 1911/12 lediglich als eine Gelegenheit, um die 
politische und militärische Kriegsrüstung der europäischen Koalition und ihrer 
Verbindungen nach den Erfahrungen der letzten Kriegskrisis neu zu revi- 
dieren, Lücken zu schließen, anscheinend gemachte Fehler wieder gutzu- 
machen, Mißstände abzustellen und alle Glieder des großen Ententekörpers 
noch fester als bisher zusammenzufügen. Noch war der günstige Augen- 
blick nicht gekommen, denn Rußlands Rüstungen waren nicht fertig, machten 
aber von Jahr zu Jahr große Fortschritte. Demgegenüber befand man 
sich in Deutschland, wie gesagt, in weiten Kreisen im Frrglauben, daß nun 
tatsächlich der Augenblick zur Sicherung des europäischen Friedens. durch 
allgemeine europäische Entspannung und Berständigung gekommen sei. 
War doch die marokkanische Reibungefläche aus der Welt geschafft worden, 
wünschte man doch selbst den Frieden und glaubte man doch so gern, was
	        
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