Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

424 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
man wünschte. Zene Rede Llopd Georges wünschte man als eine „Ent- 
gleisung“ anzusehen und tat es desbalb, und anderseits war man überzeugt, 
daß England froh über die Erledigung seiner Berträge mit Frankreich über 
Ma#rokko sei und sich nunmehr nicht mehr in deutschfeindlicher Richtung als 
festgelegt erachten könne. Wie auch aus später veröffentlichten diploma- 
tischen Berichten hervorgeht, war man in Deutschland der Ansicht, daß das 
britische Kabinett, im besonderen Sir E. Grey, vom französischen Ein- 
flusse politisch und persönlich wider Willen beberrscht sei, dagegen an und 
für sich eine ehrliche Politik und freundschaftliche Beziehungen mit dem 
Deutschen Reiche wünsche. In Grey erblickte man einen bornierten aber 
wohlmeinenden Stockengländer, der unter allen Umständen ein „Gentle- 
man“ dem Charakter nach und auch politisch sei, nur Deutschland „nicht ver- 
stehe“. Auch die politisch leitenden Persönlichkeiten der deutschen Regierung 
hielten für annähernd sicher: der Boden in Großbritannien sei vorbereitet 
und der richtige Augenblick gekommen, um eine wirkliche deutsch-englische 
Verständigung anzubahnen. Ziel dieser Verständigung sollte deutscherseite 
Sicherung der großbritannischen Neutralität für den Fall eines europäi- 
schen Festlandkrieges sein. Die Politik des Reichskanzlers v. Bethmann 
Hollweg war sich seit seinem Amtsantritte 1909 konsequent geblieben. 
In diesen politisch-diplomatischen Plan binein spielte maßgebend ein 
anderes Moment von Bedeutung, nämlich die Einbringung einer deutschen 
Heeresvorlage und einer Flottenvorlage zu Beginn des gleichen Jahres 
1912. Unmittelbar nach dem großen und entrüsteten Aussehen, welches im 
Sommer 1911 die Rede des großbritannischen Ministers Llopd George in 
Oeutschland erregt hatte, war es dem überwiegenden Teile des deutschen 
Volkes eine selbstverständliche Forderung des Tages: man mühsse sofort mit 
einer kräftigen Stärkung unserer Wehrkraft zu Lande und zu Wasser ant- 
worten. Die leitenden Persönlichkeiten der Regierung waren anderer Ansicht, 
und erst zu Beginn des Jahres“ 1912 entschloß man sich, eine Heeres- und eine 
Flottenvorlage vorzubereiten. Beide Vorlagen waren, als sie endgültig fertig 
und veröffentlicht worden waren, überraschend geringfügig und konnten 
daber auch im Auslande nicht den Eindruck hervorrufen, welcher im Interesse 
des Deutschen Reiches, der Betonung seines Selbstbewußtseins und seiner 
Stärke gelegen hätte. Einen solchen Eindruck hatte man auch nicht für 
notwendig, ja, nicht für wünschenswert gehalten. Der Reichskanzler 
v. Bethmann Hollweg hat sich im August 1915 über diese Phase der 
deutsch-englischen Berständigungsverhandlungen u. a. wie folgt ausgelassen: 
„König Eduard hatte in der persönlichen Förderung der englischen 
Einkreisungspolitik gegen Deutschland eine seiner Hauptaufgaben erblickt. 
Nach seinem Tode hoffte ich deshalb, daß die von mir bereits im August 
1909 ausgenommenen Berständigungsverhandlungen besseren Fortgang
	        
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