Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

432 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreffung. 1908—1914. 
  
Berständigungsverhandlungen mit Großbritannien auf Grund von A#- 
nahmen und Voraussetzungen ein, die sämtlich nicht zutrafen. Man brachte 
England Vertrauen entgegen, während es äußerstes Mißtrauen verdiente. 
Die damalige Haldanesche Reise hat außer dem erörterten Haupt- 
zweck anscheinend noch einige Nebenzwecke verfolgt. Zu diesen gehörte 
die Anrufung der Gnade des Oeutschen Kaisers für einen britischen Offizier- 
spion, welcher in Deutschland abgefaßt und verurteilt worden war und 
seine Strafe zu verbüßen begonnen hatte. Seit einer Reihe von Jahren 
bereits wurden die deutschen Hafenstädte, die Werften und die Haupt- 
stadt von britischen Spionen überschwemmt. Gelungene oder mißlungene 
Bestechungsversuche Deutscher waren auf der Tagesordnung. Oie eng- 
lische Spionage arbeitete mit größten Geldmitteln und mit vollendeter 
Strupellosigkeit. In Berlin und in den deutschen Hafenstädten hatten 
sich Spionagemittelpunkte gebildet, welche im Zusammenhange unter- 
einander spstematisch arbeiteten. Es gelang der deutschen Aufmerksamkeit, 
in einer Reihe von Fällen mit Erfolg zuzufassen, aber die Zahl der unent- 
deckten britischen oder im britischen Solde stehenden Spione ist ein Biel- 
faches der entdeckten gewesen. Der Eifer und die große Energie der Spio- 
nage etwa seit dem Jahre 1908 — damals waren die ersten deutschen 
Dreadnoughts fertig geworden — bewies zweierlei: daß die Stärke der 
deutschen Wehrkraft zur See keine unbeachtliche Größe mehr war; daß 
Großbritannien den Krieg gegen Deutschland methodisch vorbereitete. 
Wie sehr es sich dabei um Vorbereitung eines Angriffskrieges handelte, 
ging hinsichtlich der Spionagetätigkeit schon daraus hervor, daß die Spione 
besonderen Wert auf die Erkundung der deutschen Küstenverhältnisse mit 
Wassertiefen und Landungsverhältnissen legten, außerdem auf die Einzel- 
beiten der Küstenbefestigungen und was dazu gehörte. Alles das konnte 
wahrlich nicht die Schlußfolgerung gestatten, daß eben dieses Groß- 
britannien geneigt sein könnte, in dem großen Kampfe, den es selbst 
wollte und vorbereitete, neutral und gar „wirklich“ neutral zu bleiben. — 
Der Offizierspion wurde begnadigt. 
Lord Haldane hatte außerdem den Auftrag, weiter über eine gemein- 
same englisch-deutsche Politik in Mittelafrika, zum Teil auch hinsichtlich 
der Asiatischen Türkei in Berlin zu sprechen. Diese Verhandlungen be- 
trafen einerseits eine neue Auflage des alten deutsch-britischen Delagoa- 
vertrages vom Fahre 1898. Während der Marokkokrisis von 1911 hatte 
bereits der großbritannische Premierminister Asêquith Andeutungen ge- 
macht und Grey sagte im ODezember 1911: Großbritannien habe nicht die 
Absicht, eine koloniale Ausdehnung des Deutschen Reiches in Mittelafrika 
zu bekämpfen. Großbritannien begnüge sich dort mit seinem vorhandenen 
Besitze. Damals wurden diese Andeutungen vielfach auf das belgische
	        
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