Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

434 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
zustandes unter geldlicher Entschädigung Portugals herbeigeführt. So 
ungefähr wollte die britische Regierung, daß man in Berlin denken und 
hoffen sollte, und hat damit entsprechenden Erfolg gehabt. Noch tief im 
Zabre 1915, als das Abkommen längst abgeschlossen und von den Vertretern 
wohl auch unterzeichnet war, glaubte die deutsche Offentlichkeit noch immer, 
daß weiter unterhandelt werde, und wartete mit Spannung auf das Er- 
gebnis dieser Unterbandlungen. Man begriff nicht, daß sie gar nicht zu 
Ende kämen, und konnte sich das Schweigen der deutschen Regierung dazu 
nicht erklären. In Wirklichkeit standen die Dinge so, daß nach Abschluß 
der Verbandlungen, nach Unterzeichnung bzw. Paraphierung des Ab- 
kommene die großbritannische Regierung sich dessen Geheimhaltung aus- 
bedungen hatte. Der Augenblick sei noch nicht gekommen, zumal müsse die 
deutsche Durchdringung in den portugiesischen Kolonialgebieten erst ent- 
sprechend vorgeschritten und durch erhebliche deutsche Kapitalanlagen eben 
dort „Interessen“ geschaffen sein. So blieb denn das Abkommen ale kost- 
barer aber nicht auszunutzender Schatz in der Schublade liegen. Heute 
kann nicht mehr zweifelhaft sein, daß jene Berhandlungen nur eingeleitet 
wurden, jenes Abkommen nur geschlossen worden ist, um das Deutsche Reich 
hinzuhalten, um der deutschen Regierung die Uberzeugung eines intimen 
Zusammenarbeitens mit Großbritannien zu suggerieren. Oie britische 
Regierung wollte das deutsche Volk an ihren guten und friedlichen Willen 
glauben machen, weil sie im Hinblick auf die Orientpläne und Rußlands 
Rüstungen Zeit zu gewinnen wünschte. Oie großbritannische Presse jener 
Zeit war voll von diesem „guten Willen“: Deutschland sei ja expansions-- 
bedürftig, das gestehe man in England bereitwillig zu und habe das größte 
Interesse daran, zur Friedlichkeit dieser Expansion beizutragen. Wenn 
Großbritannien den berechtigten deutschen Bestrebungen schroffen Wider- 
stand entgegensetze, so entstehe die Gefahr furchtbarer Explosionen. Des- 
halb sei c5 weise und gleichzeitig wohlwollend, den kolonialen deutschen 
Ehrgeiz in unschädliche Bahnen zu lenken. Man rechnete in England auch 
darauf, daß diese gewissermaßen verbrieften deutschen Kolonialhoffnungen 
eine Bremse gegen die Schaffung einer starken deutschen Seemacht bilden 
würden: Großbritannien bewiese nun in der Praxis seine Vertrauens- 
würdigkeit und seine freundschaftliche Gesinnung. Deutschland erhielte 
ein großes Kolonialreich durch hilfreiche britische Bereitwilligkeit, — also 
wozu noch eine starke deutsche Flotte? Die britische Presse führte weiter 
aus, daß ein großer deutscher Kolonialbesitz auf lange Zeit hinaus viel 
Geld kosten und damit von selbst die für weiteren Flottenbau erforderlichen 
Mittel einschränken werde, außerdem meinte man: die Konzentration der 
gesamten deutschen Flotte in der Nordsee würde dann aufhören. Das. 
waren Presseansichten. Die britische Regierung hat, wie gesagt, wohl
	        
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