Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Sendung Lord Haldanes, ihre Begleitumstände und Folgen. 437 
Die deutsche Flotte sei eine Luxusflotte. Diese Unverschämtheit des bri— 
tischen Ministors zeigte, was es mit den Haldaneschen Verständigungs- 
bestrebungen auf sich habe. Im Jahre 1915 während des Krieges erklärte 
Churchill in einer Rede, er habe bei seiner Berufung an die Spitze der 
Admiralität den Auftrag erhalten: „es als meine ganz besondere Aufgabe 
zu betrachten, die Flotte in den Stand sofortiger und ständiger Kriegs-- 
bereitschaft zu setzen, für den Fall, daß wir von Deutschland angegriffen 
würden . . .“ Und Baldane sagte kurz darauf: „NMr. Churchill brachte die 
Flotte auf einen größeren Stand und höhere Schlagfertigkeit für den Krieg, 
so daß wir uns im Kraftverhältnis 2 zu 1 Deutschland gegenüber befanden.“ 
— DOiese beiden Aussprüche sind, an den Ereignissen gemessen, wahr; 
abgesehen davon, daß selbstverständlich der Hinweis auf einen deutschen 
Angriff lediglich als BVorwand dienen sollte. Um so unwahrer war es, als 
Churchill vom Zahre 1912 ab öffentlich erklärte und propagierte, Deutschland 
möge seine Flotte nicht über ein Stärkeverhältnis von 10 zu 16 der groß- 
britannischen gegenüber vermehren. Der deutsche Staatssekretär des Reichs- 
marineamtes erklärte daraufhin im Jahre 1913: gegen ein Verhältnie 
10 zu 16 zwischen der deutschen und der englischen Schlachtflotte habe er 
als Leiter seines Ressorts nichts einzuwenden. Auffallenderweise erblickte 
man in Oeutschland wie in einem Teile der öffentlichen Meinung Groß- 
britanniens in diesem Eingehen auf die Churchillsche Anregung einen 
grundsätzlichen Umschwung der deutschen Flottenpolitik. In Wirklichkeit 
war davon nicht die Rede. Tatsächlich würde für die deutschen Bedürfnisse 
das Verhältnis 10 zu 16 genügt haben, es war aber 1912 und 1913 deutscher- 
seits lange nicht erreicht, und es bestand auch später keine Aussicht, es zu 
erreichen, wenn man nicht eine längere Reihe von Zahren hindurch eine 
wesentliche Beschleunigung des Bautempos hätte eintreten lassen. Daß 
davon aber unter den bei der deutschen Regierung maßgebenden Anschau- 
ungen nicht die Rede war, wußte Churchill ebensogut wie jedes andere 
britische Kabinettsmitglied. So konnte er sich mit taktischem Vorteile 
seine Vorschläge leisten. Das Eingeben des deutschen Staatssekretärs 
darauf war ihm auffallend unbequem, und er beeilte sich, in der Folge 
immer mehr Einschränkungen seiner ÄAußerung eintreten zu lassen. So 
erklärte Churchill, für das BVerhältnis 10 zu 16 rechneten die in den außer-- 
heimischen Gewässern weilenden Schiffe nicht mit, ja auch nicht die im 
Mittelmeere stationierten. Ferner rechnete er ab die von den britischen 
Kolonien geschenkten oder noch zu schenkenden, und schließlich meinte er, 
daß das Berhältnis 10 zu 16 nicht mehr genügen werde, sobald die soge- 
nannten Vordreadnoughtschiffe veraltet seien; das wäre aber schon in den 
nächsten Jahren eingetreten. Kurz, es ließ sich schon bald nicht mehr ver- 
bergen, daß der Vorschlag des Ersten Lords nicht nur unpraktisch, sondern
	        
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