Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

6 1. Abschnitt. Von Rußland zu Großbritannien. 1887—1894. 
  
längst vorher über das Bestehen des österreichisch-deutschen Bündnisses 
unterrichtet waren. Die Veröffentlichung wandte sich nicht gegen sie, 
sondern gegen die Stimmung eines energisch gegen alles Deutsche trei- 
benden russischen Bevölkerungsteiles. 
Das deutsch-russische Verhältnis jener ZJahre ist deswegen so merk- 
würdig und in sich kompliziert, weil es einerseits durch den Rückversiche- 
rungsvertrag ein befestigtes Werk war, weil anderseits höfische, zarische 
und „panflawistisch" genannte, national-russische Mißstimmungen mit 
jedem Zahre wuchsen und die gleichfalls wachsende ausgesprochene und 
angriffölustige Feindschaft des Panslawismus in hohem Maße verstärkten. 
Skobelew hatte das Wort gesprochen: Der Weg nach Wien führe über 
Berlin, und er meinte das sicherlich nicht mit Beziehung auf das deutsch- 
österreichische Bündnis, sondern hatte das Deutschtum überhaupt im Auge, 
dessen Schicksalsstunde geschlagen haben würde, sobald das Deutsche Reich 
niedergeworfen wäre. Österreich mußte dann von selbst fallen. Oiese 
einander widerstrebenden Momente in den deutsch-russischen Beziehungen 
erhielten noch eine neue Seite dadurch, daß die französisch-russischen An- 
näherungsversuche konsequent fortgesetzt wurden und tatsächliche Fort- 
schritte machten. Es klingt erstaunlich, entspricht aber der geschicht- 
lichen Wahrheit, daß im Zahre 1887, demselben Zahre, als der deutsch- 
russische Rückversicherungsvertrag zum ersten Male erneuert wurde, der 
russische Militärattaché in Paris sich an den französischen Kriegsminister 
mit der Frage wandte, ob die französische Waffenindustrie nicht ermächtigt 
werden könne, 500 000 Lebelgewehre für das russische Heer herzustellen. 
Der Kriegeminister antwortete: man sei gern bereit, möchte aber doch die 
Sicherheit haben, daß diese Gewehre niemals auf Franzosen schießen 
würden. Baron Fredericks erklärte, man werde alle nötigen Sicherheiten 
geben. Der Botschafter, Baron Mohrenheim, machte die Worte des Militär- 
attachés zu den seinigen, und damit war die Angelegenheit auf das 
diplomatische Gebiet hinübergeschoben: die Geschicklichkeit der fran- 
zösischen Politik hatte einen außerordentlichen Erfolg errungen. Nicht 
nur lieferte Frankreich den Russen die Gewehre, deren Bestimmung 
war, auf Österreicher und Deutsche zu schießen, sondern dieser Anlaß 
hatte die Gelegenheit gegeben, um nach langer und sorgfältiger Vor- 
bereitung amtlich eine vertrauensvolle Annäherung der beiden Mächte 
zu besprechen und zu präzisieren. Garantien, daß diese Gewehre nicht 
auf Franzosen schießen würden! Solche Garantien waren nur möglich 
durch eine Entente zwischen den beiden Mächten, also ein gegenseitiges 
Einverständnis über bestimmte politische Richtlinien und Ziele. Ende 
1888 wurde die erste russische Anleihe in Frankreich begeben, ein an sich 
wichtiges, vor allem ein richtunggebendes Ereignis. Das alles fand in
	        
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