Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

440 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
halten.“ — Oie „Nossija“ aber schrieb: „Der Gedankenaustausch ergab aufe 
neue den festen Entschluß, die zwischen beiden Ländern bestehenden alt- 
ehrwürdigen Aberlieferungen hochzuhalten. Die Begegnung soll keine 
Anderung in der GEruppierung der europäischen Mächte herbeiführen, 
deren Wert für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes und 
des Friedens sich erwiesen hat. Sie bezeugt aber einerseits die feste und 
dauernde Freundschaft zwischen Deutschland und Rußland, anderseits ist 
sie ein beredter Ausdruck der friedlichen Grundrichtung, welche die Politik 
beider Reiche gleichmäßig bestimmt.“ 
Diese amtlichen Mitteilungen, besonders die russische, erregten großes 
Aufsehen. In der französischen Presse machte sich teilweise ein gewisses Miß- 
behagen geltend. Die führenden Organe in Frankreich jedoch und in Groß- 
britannien erfaßten den Sinn der Sache besser. Sie stellten ausdrücklich und 
triumphierend fest, daß das russische Kommuniqué, dessen Inhalt und Form 
— ebenso wie umgekehrt — mit den anwesenden Bertretern der deutschen 
Regierung vereinbart worden war, eine ausdrückliche Anerkennung des 
friedlichen Charakters der Tripelentente brachte: „Die Begegnung soll 
keine Anderung in der Gruppierung der europäischen Mächte herbei- 
führen, deren Wert für die Aufrechterhaltung des GEleichgewichtes und des 
Friedens sich erwiesen hat.“ — Oamit erkannte — so bieß es — also auch 
die deutsche Regierung an, daß die Tripelentente dem Frieden diene und 
indirekt, daß von einer Einkreisungspolitik gegen Deutschland nicht die 
Rede sein könne. Möglicherweise hat der Deutsche Reichskanzler damals 
geglaubt, er werde durch diese unverdiente Charakterisierung einer dem 
Kriege gegen Deutschland dienenden Organisation die Gegensätze der 
beiden großen Gruppen in Europa mildern; möglicherweise befand er sich 
im IZrrtume über den Charakter der Tripelentente. Auch hat er wohl auf 
den Gang der Verständigungsverhandlungen mit England günstig ein- 
wirken wollen. Oer Staatssekretär v. Kiderlen-Waechter war zur Reise 
nach Baltischport nicht zugezogen worden. 
Oas russische Kommuniqué von Baltischport sprach ferner von der 
„friedlichen Grundrichtung, welche die Politik beider Reiche gleichmäßig 
bestimmt“. Für das Deutsche Reich traf das im wahren Sinne des Be- 
griffes zu. Die deutsche Politik bedeutete tatsächlich ein unausgesetztes 
Streben, den Frieden zu erhalten. Bei Rußland war das Gegenteil der 
Fall. Die russische Politik und ihre Vertreter verdienten das ihnen geschenkte 
deutsche Vertrauen ebensowenig wie die Leiter der großbritannischen Politik. 
Im August 1912 hatte die Begegnung zu Baltischport mit den Ver- 
sicherungen des Bertrauens und der Friedlichkeit stattgefunden, und im 
September reiste Herr Ssasonow nach Großbritannien, um dort die In- 
szenierung des vorbereiteten Balkankrieges mit den britischen Staats--
	        
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