Die Sendung Lord Baldanes, ihre Begleitumstände und Folgen. 441
männern näher zu vereinbaren. Dem gleichen Zwecke hatte, neben an-
derem, der erwähnte Besuch Herrn Poincarés in St. Petersburg gedient.
Die Mine war gelegt und zur Sprengung bereit, welche nach den Be-
rechnungen der Staatsmänner des Oreiverbandes unter russischer Regie
sowohl dem Türkischen Reiche wie Osterreich-Ungarn die Grundfesten ihrer
Machtstellung zertrümmern sollte.
Nach allen inzwischen eingetretenen Ereignissen und Enthüllungen
kann nicht zweifelhaft sein, daß die Mächte des Dreiverbandes gerade im
Zahre 1912 mit Sorgfalt alles taten, um die deutsche Llufmerksamkeit von
diesem großen Plane abzulenken und deutsches Mißtrauen fernzuhalten.
Zum großen Teile aus diesem Grunde übertrieb die russische Presse auf
höheren Befehl die Bedeutung der Zusammenkunft von Baltischport ins
Ungeheuerliche. Führende deutschfeindliche Blätter wie die „Nowoje
Wremja“ schrieben überschwenglich begeisterte Artikel über ein russisch
deutsches Zusammengehen. Ein Teil der französischen Zeitungen war,
wie gesagt, schlecht gelaunt und ließ sich kurze Zeit durch die Mache täuschen.
Als Nebenzweck verfolgte diese russische Mache ebenso wie anläßlich des
Potodamer Abkommens, nach russischer Art den Zweck, sich Frankreich
politisch und finanziell gefügig zu machen und zu zeigen, daß Rußland nur
den Finger auszustrecken brauche, um in ein enges Berhältnis zum Oeut-
schen Reiche zu gelangen. Großbritannien bedurfte keiner besonderen
Kundgebungen, um seinerseits das gleiche hinsichtlich Deutschlands zu be-
weisen. Mit welcher Festigkeit die Leiter der russischen Politik im Grunde
zu den Westmächten bielten, geht, um nur ein Beispiel zu wählen, aus der
folgenden Tatsache hervor: Der derzeitige Botschafter zu Konstantinopel,
Herr Tscharpkow, versuchte, wie russische Botschafter und Gesandte häufig,
eine aktive Politik auf eigene Hand zu machen und die Hohe Pforte zur
Freigabe der Meerengendurchfahrten für russische Kriegsschiffe zu be-
wegen. Oiese Machinationen des Botschafters erregten in London solches
Mißfallen, daß die in Kenntnis gesetzte französische Regierung sich mit
der dringenden Vorstellung nach Petersburg wandte: Tscharykow müsse
sofort Konstantinopel verlassen, sonst sei die Festigkeit des Dreiverbandes in
Gefahr. — Und Herr Tscharpkow wurde ungesäumt abberufen, die jedem
Russen so teure Meerengenangelegenheit fallen gelassen.
Der letzte Akt.
Im Sommer des Jahres 1912 brachte die großbritannische Presse die
Nachricht: die slawischen Balkanstaaten hätten sich zu einem Bunde, dem
Balkanbunde, zusammengeschlossen. In Mitteleuropa wurde die Nachricht
mit skeptischem Unglauben ausgenommen. Es hatte schon so oft gebeißen,