Oer letzte Akt. 451
der Uberzeugung, daß eine berechtigte und militärisch höchst günstige Ge-
legenheit, die serbische Gefahr aus der Welt zu schaffen, verpaßt sei. Deut-
scherseits ist wohl alles geschehen, um auch damals ein kriegerisches Ein-
greifen Osterreich-Ungarns zu verbindern. Nach der Krisis erklärte der
Deutsche Reichskanzler im Reichstage: „Wenn unsere Bundesgenossen
aber bei der Geltendmachung ihrer Interessen wider alles Erwarten von
dritter Seite angegriffen und damit in ihrer Existenz bedroht werden
sollten, dann würden wir, unserer Bündniepflicht getreu, fest und ent-
schlossen an ihre Seite zu treten haben, dann würden wir an der Seite
unserer Berbündeten zur Wahrung unserer eigenen Stellung in Europa,
zur Berteidigung der Sicherheit und Zukunft unseres eigenen Landes
fechten.“
Herr v. Bethmann Hollweg vertrat damit grundsätzlich den gleichen
Standpunkt wie sein Vorgänger Bülow: jede Lebenefrage für Osterreich-
Ungarn werde, sofern sie die Gefahr eines Konfliktes in sich schließe, auch
für das Deutsche Reich zur Lebensfrage. Es war nur eine notwendige Folge
der deutschen Orientpolitik und der neuen Stellung, welche Deutschland zu
diesen Fragen überhaupt genommen hatte, daß auf diese Weise jede lokale
Balkanfrage Osterreich-Ungarns den europäischen Konflikt in sich trug. Die
Spannung gegen Ende 1912 und während der folgenden Monate gewann
deshalb unmittelbar einen so gefährlichen Charakter, weil die russische Regie-
rung in den Bezirken an der österreichisch-ungarischen Grenze große Truppen-
mengen auf Kriegsfuß zu setzen begann. Oie Erklärung der Regierung,
daß es sich um Probemobilmachungen handle, konnte nicht beruhigend
wirken, und die selbstverständliche Folge war, daß ÖOsterreich-Ungarn mit
gleichen Maßnahmen nahe der russischen Grenze antwortete, außerdem
an der serbischen Grenze entsprechende militärische Maßnahmen traf.
Die daraus erwachsende mißtrauische Spannung dauerte bie Mitte März
1915. Inwieweit Rußland damals geneigt gewesen wäre, einen großen
Krieg zu führen, kann dahbingestellt bleiben, auf alle Fälle war man zu
Petersburg überzeugt, daß Österreich-Ungarn nicht zum Kriege bereit
sei und daß man es einschüchtern könne. An und für sich wünschte Rußland
den großen Krieg noch zu verschieben, weil man noch nicht genügend bereit
war. Aus dem Gefühle dieser Schwäche heraus auch hatte man in Peters-
burg gewünscht, daß ein österreichisch-serbischer Krieg damals verbindert
werde, während man gleichzeitig den bulgarischen Zusammenbruch mit
Genugtuung registrierte, denn vorber bestand Besorgnie: die Bulgaren
könnten Konstantinopel nehmen.
Die Lage des Deutschen Reiches, im besonderen der deutschen Regie-
rung, der Türkei gegenüber war eine wenig angenehme. Alles, was man
tun zu können glaubte, war das Drängen auf Einstellen der Feindselig-
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