Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Oer letzte Akt. 451 
  
der Uberzeugung, daß eine berechtigte und militärisch höchst günstige Ge- 
legenheit, die serbische Gefahr aus der Welt zu schaffen, verpaßt sei. Deut- 
scherseits ist wohl alles geschehen, um auch damals ein kriegerisches Ein- 
greifen Osterreich-Ungarns zu verbindern. Nach der Krisis erklärte der 
Deutsche Reichskanzler im Reichstage: „Wenn unsere Bundesgenossen 
aber bei der Geltendmachung ihrer Interessen wider alles Erwarten von 
dritter Seite angegriffen und damit in ihrer Existenz bedroht werden 
sollten, dann würden wir, unserer Bündniepflicht getreu, fest und ent- 
schlossen an ihre Seite zu treten haben, dann würden wir an der Seite 
unserer Berbündeten zur Wahrung unserer eigenen Stellung in Europa, 
zur Berteidigung der Sicherheit und Zukunft unseres eigenen Landes 
fechten.“ 
Herr v. Bethmann Hollweg vertrat damit grundsätzlich den gleichen 
Standpunkt wie sein Vorgänger Bülow: jede Lebenefrage für Osterreich- 
Ungarn werde, sofern sie die Gefahr eines Konfliktes in sich schließe, auch 
für das Deutsche Reich zur Lebensfrage. Es war nur eine notwendige Folge 
der deutschen Orientpolitik und der neuen Stellung, welche Deutschland zu 
diesen Fragen überhaupt genommen hatte, daß auf diese Weise jede lokale 
Balkanfrage Osterreich-Ungarns den europäischen Konflikt in sich trug. Die 
Spannung gegen Ende 1912 und während der folgenden Monate gewann 
deshalb unmittelbar einen so gefährlichen Charakter, weil die russische Regie- 
rung in den Bezirken an der österreichisch-ungarischen Grenze große Truppen- 
mengen auf Kriegsfuß zu setzen begann. Oie Erklärung der Regierung, 
daß es sich um Probemobilmachungen handle, konnte nicht beruhigend 
wirken, und die selbstverständliche Folge war, daß ÖOsterreich-Ungarn mit 
gleichen Maßnahmen nahe der russischen Grenze antwortete, außerdem 
an der serbischen Grenze entsprechende militärische Maßnahmen traf. 
Die daraus erwachsende mißtrauische Spannung dauerte bie Mitte März 
1915. Inwieweit Rußland damals geneigt gewesen wäre, einen großen 
Krieg zu führen, kann dahbingestellt bleiben, auf alle Fälle war man zu 
Petersburg überzeugt, daß Österreich-Ungarn nicht zum Kriege bereit 
sei und daß man es einschüchtern könne. An und für sich wünschte Rußland 
den großen Krieg noch zu verschieben, weil man noch nicht genügend bereit 
war. Aus dem Gefühle dieser Schwäche heraus auch hatte man in Peters- 
burg gewünscht, daß ein österreichisch-serbischer Krieg damals verbindert 
werde, während man gleichzeitig den bulgarischen Zusammenbruch mit 
Genugtuung registrierte, denn vorber bestand Besorgnie: die Bulgaren 
könnten Konstantinopel nehmen. 
Die Lage des Deutschen Reiches, im besonderen der deutschen Regie- 
rung, der Türkei gegenüber war eine wenig angenehme. Alles, was man 
tun zu können glaubte, war das Drängen auf Einstellen der Feindselig- 
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