Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

10 1. Abschnitt. Von Rußland zu Großbritannien. 1887—1894. 
  
„Ubrigens, wenn sich Österreich Bosnien nimmt, nimmt sich Btalien 
Albanien oder irgendein anderes türkisches Gebiet am Adriatischen Meer.“ 
Crispi erwiderte: „Eine Provinz an der Adria genügt uns nicht. Wir würden 
nicht wissen, was wir damit anfangen sollten.“ Man wolle eine Grenz- 
regulierung nach den Alpen hin und eine gesicherte Ostgrenze. 
Bismarck erklärte, daß solche Forderungen für Österreich nicht dis- 
kutabel seien. Man ließ den Punkt fallen, wurde sich aber über die wesent- 
lichen Bedingungen eines italienisch-deutschen Bündnisses einig. 
Zn London fand Crispi dieselbe Ansicht bei Lord Derby: „Nehmen 
Sie Albanien!“ Wie anders hätten sich die Orientfragen gestaltet, wenn 
Ztalien damals Albanien bekommen hätte. 
Zn England war man zu einem Abkommen mit #Italien sehr bereit. Es 
wurde aber eben vor dem Berliner Kongresse durch die ungeschickte Stellung- 
nahme des Grafen Corti und die Franzosenfreundlichkeit des Minister- 
präsidenten Cairoli ebenso zu Wasser, wie die deutsch-italienische Annähe- 
rung. Wie England zu. den für Italien wichtigen Fragen stand, gebt aus 
dem folgenden Telegramm des italienischen BotschafterS in London am 
3. März 1877 hervor: „ begann ich mit Lord Derbpy über die Angelegen- 
heiten in Agypten, Tripolis und Tunis zu verhandeln. Er sagte mir, es 
sei augenscheinlich, daß Italien und England im Mittelmeer gemeinsame 
Interessen hätten, daß er einen Meinungsaustausch über dieses Thema 
wünsche und sich vorbehielte, darauf zurückzukommen.“ Graf Corti, eben 
Minister des Auswärtigen geworden, wies dieses für Italien unter allen 
Umständen vorteilhafte Anerbieten zurück. Auch Fürst Bismarck wartete 
vergeblich auf amtliche Fortsetzung der von Crispi angebahnten Bündnis-- 
verhandlungen, und so fand sich Italien auf dem Berliner Kongresse von 
vornherein in einer überaus unvorteilhaften Lage. Es wollte wohl etwas, 
wußte aber nicht was und stand vollkommen isoliert da. Die beiden Groß- 
mächte, Deutschland und England, konnten kein Bertrauen zu einer Politik 
hegen, welche sich kurzsichtig, unbeständig und damit auch unzuverlässig 
gezeigt hatte. 
Auf dem Kongresse gingen die Dinge ihren bekannten Gang. Eng- 
land hatte kurz vor dem Zusammentritte des Kongresses mit der Türkei 
ein Schutz- und Trutzbündnis geschlossen, durch das es dem Türkischen 
Reiche seinen asiatischen Besitzstand verbürgte (Agypten) und sich die 
Insel Cppern geben ließ. Auf dem Kongresse hatten zunächst alle Bevoll- 
mächtigten die Erklärung abgegeben, daß sie durch keine geheimen Ab- 
machungen irgendwelcher Art gebunden wären. Auch die englischen 
Bevollmächtigten hatten diese Versicherung abgegeben, konnten es aber 
schließlich nicht vermeiden, mit dem Cypern-Vertrag an das Licht zu kom- 
men. Oiraeli entdeckte ihn zunächst dem Fürsten Bismarck, dieser nahm
	        
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