Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

24 1. Abschnitt. Von Rußland zu Großbritannien. 1887—1894. 
der Zukunft betrachtete, und zwar als einen gefährlichen. Umgekehrt 
sah sich Großbritannien für einen solchen Fall jetzt gewissermaßen einem 
einigen Europa gegenüber, denn mit Frankreich befand es sich in einer 
Periode fortgesetzter Kolonialstreitigkeiten, außerdem war Frankreich 
eben durch die Einigung der beiden Kaisermächte in politische Abhängigkeit 
geraten. ODaher auch die Anstrengungen der französischen Staatsmänner, 
die deutsch-feindlichen Strömungen in Rußland und die Orientbestrebungen 
der russischen Politik zu benutzen, um aus dieser unangenehmen Lage 
heraus zu gelangen. Bismarck kannte genau die Umtriebe auf beiden 
Seiten, war auch über die russische Truppenanhäufung an der Grenze 
orientiert, die er für ein diplomatisches Druckmittel im Falle einer Orient- 
krisis hielt, nicht aber für eine Bedrohung der deutschen Grenzen in Über- 
einstimmung mit französischen Angriffsabsichten. 1888 sagte er, er habe 
noch das gleiche Bertrauen zur russischen Politik, „das alles (jene für 
viele Deutsche beunruhigenden Symptome und Pressetreibereien) wiegt 
federleicht gegen die Autorität des Kaiser5 von Rußland“. 
Ein Zahr vorher hatte das Moskauer Blatt Katkows geschrieben: 
Eine russisch-französische Allianz brauche keinen geschriebenen Bertrag, 
sie werde bei jedem Angriff gegen Deutschland von selbst in Kraft treten. 
Es folgte die russische Prohibitivzollpolitik gegen Deutschland, Bismarck 
verbot darauf die Lombardierung russischer Werte; die gewaltsame Russi- 
fizierung der Ostseeprovinzen griff in brutaler Form Platz, die russischen 
Truppenverschiebungen nach den deutschen und österreichischen Grenzen 
nahmen zu. Zugleich hatte das Fahr, wie erwähnt wurde, die ersten bin- 
denden französisch-russischen Berhandlungen gebracht. Alles wog aber 
„federleicht“ für Bismarck gegen die Autorität des Kaisers von Rußland 
und, wie in Parenthese dabeistand, gegen die Tatsache des geheimen 
Rückversicherungsvertrages. Solange dieser bestand und solange die po- 
litische Lage, vor allem das englisch-russische Berhältnis, diesen Bertrag 
für Rußland nötig machte, — solange konnte Biemarck sich durch alle jene 
Vorgänge und TCreibereien in seinem Bertrauen zu letzten Entschlüssen 
der russischen Politik nicht beunruhigt fühlen. Man kann deehalb seine 
Worte vom „Bertrauen“ usw. als aufrichtig gemeint ansehen, zumal er 
auf der anderen Seite durch die Militärvorlage und das Wehrgesetz allen 
militärischen Möglichkeiten Rechnung trug und den Gedanken des Zwei- 
frontenkrieges gleichsam zu einem offiziellen Begriffe gemacht hatte. 
Das Zahr 1889 kam beran, und es folgte die letzte Unterredung Bis- 
marcks mit dem Zaren Alexander in Danzig. Wie Bismarck erzählt und 
wie Jahre vorher die deutsche und österreichische Presse feststellte, brachte 
auch diese Unterredung wie die von 1887 das Ergebnis vollen und aus- 
gesprochenen Vertrauens des Zaren zu Bismarcks Politik. Zn den fran-
	        
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