Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Ruͤckoersicherung und ihre Auflösung. 25 
  
zösischen Darstellungen jener Periode wird von diesem Besuche betont, 
er habe nichts an der unaufhaltsam sich vollziehenden russisch-französischen 
Annäherung ändern können. Wenn damit eine Erfolglosigkeit festgestellt 
werden soll, so geht diese Kritik am Ziele vorbei, denn darum handelte 
es sich gar nicht und konnte es sich nicht bandeln. Man darf vielmehr an- 
nehmen, daß für Bismarck nach wie vor als Hauptpunkt die erneute Fest- 
stellung der Friedensliebe des russischen Selbstherrschers in Betracht 
stand. Wenn der Zar, und das war der Fall, ihm versicherte, er werde 
weder Deutschland angreifen, noch an einem Angriffe auf das Oeutsche 
Reich teilnehmen, stehe also nach wie vor auf dem Boden des Rückver- 
sicherungsvertrages, so genügte das Bismarck genau ebenso, wie es dem 
Zaren genügte, daß Biemarcks Politik im Hinblick auf Großbritannien 
und dessen Berhältnis zum Dreibunde weder dem Wortlaute des Rück- 
versicherungsvertrages, noch den russischen Lebensinteressen überhaupt 
zuwiderlaufen würde. Das einfache Wort des Zaren war genügend, 
denn neben der Unbeschränktheit seiner Macht war er friedliebend. Daß 
Biomarcks Bertrauen kein blindes war, und daß der große Kanzler die 
antideutsche und antiösterreichische Strömung in Rußland sah und nicht 
geringschätzte, ist selbstverständlich. Wenn er öffentlich sein Bertrauen 
zum Zaren so betonte, so stärkte er damit umgekehrt das Bertrauen des 
Zaren zum Leiter der Politik des Deutschen Reiches. 
Bismarck hat verschiedene Male erzählt, wie Zar kllexander bei 
jener letzten Begegnung mit dem Ausdrucke des Bertrauens zur Politik 
und zur Person des Fürsten die zweifelnde Frage verbunden habe, ob er 
sicher sei, noch längere Zeit im Amte zu bleiben. Biemarck habe dies 
versichert. Im folgenden Jahre 1890 stand schon die Wiedererneuerung 
des russisch-deutschen Neutralitätsvertrages in Frage. Zieht man das in 
Betracht, so gewinnt jene Frage des Zaren erst ihre bedeutende Beziehung. 
Sie wird ergänzt durch die seinerzeit in der russischen, deutschen und 
österreichischen Presse behauptete Tatsache, daß Anfang des Jahres 1890 
während der KanzlerkrisiS der russische Botschafter zu Berlin, Graf Schu-- 
walow, Bismarck aufsuchte und bei ihm die Verlängerung des VBertrages 
in Anregung brachte, jedoch Bedenken für den Fall äußerte, daß ein Per- 
sonenwechsel im Kanzleramte stattfinden würde. Wenige Monate nach- 
her trat der Kanzlerwechsel ein. Graf Schuwalow nahm trotz seiner 
Bedenken wieder die Initiative, fand aber bei dem neuen Reichskanzler, 
Grafen Caprivi, keinen Anklang. Der Neutralitätsvertrag wurde nicht 
erneuert und lief im Sommer 1890 stillschweigend ab. Fürst Hohenlohe 
schreibt in seinen Denkwürdigkeiten: Caprivi habe ihm damals gesagt, 
daß das Bekanntwerden des russisch-deutschen Vertrages den Oreibund 
gesprengt baben würde, und er ihn deshalb nicht erneuert hätte. Caprivi
	        
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