28 1. Abschnitt. Von Rußland zu Großbritannien. 1887—1894.
konnte. Alle Zeichen weisen hier nach England hinüber, sogar die These
„vom gefährdeten Oreibunde“, denn England stand gerade in jener Zeit
dem Dreibunde außerordentlich nahe. Es wäre also für den gutgläubigen
Caprivi nicht einmal überraschend gewesen, wenn etwa englische Staats-
männer, so der damalige Botschafter in Berlin, Sir E. Malet, sich mit
Besorgnis über die Möglichkeit der Gefährdung des England so teuren
Oreibundes geäußert hätten.
Oie britischen Staatsmänner wollten für die indischen Grenzen und
den Orient Luft haben und deshalb Rußland die deutsche Rückendeckung
nehmen, sie wollten von der ägpptischen Sorge wenn nicht befreit, so
wenigstens erleichtert werden und die europäische Einmütigkeit in dieser
Frage durch einen stärker betonten Gegensatz Rußland-Deutschland auf-
heben; die französisch-russischen Annäherungsstadien waren ihnen natürlich
genau bekannt. Sie hofften schließlich, zu einer Revision der von Bismarck,
als vorläufig, getroffenen englisch-deutschen Abmachungen über Afrika
zu gelangen.
Bismarck ging, und unmittelbar setzte der Umschwung der deutschen
Politik ein. Der Reichskanzler v. Caprivi war sofort entschlossen, die Rück-
versicherung mit Rußland aufzugeben und das Steuer seiner Politik
nach Großbritannien hin zu wenden. Caprivi hat zweifellos nach einem
subjektiv klaren und vollständigen Programme gehandelt, keineswegs, wie
es häufig dargestellt wird, gewissermaßen in Unüberlegtheit und dilettan-
tischer Ungeschicklichkeit. Anscheinend erstrebte der zweite Deutsche Kanzler
ein Verhältnis zwischen dem Deutschen Reiche und Großbritannien, das
man etwa als ein solches gegenseitiger Ergänzung bezeichnen könnte;
Ergänzung durch das stärkste Heer einerseits, die stärkste Flotte anderseits.
Von Großbritannien aus hatten schon im Jahre vorber zielbewußte Be-
mühungen nach dieser Nichtung eingesetzt. Als Kaiser Wilhelm II. im
August 1889 zu einer Flottenschau nach England gereist war, wurde ihm
der Titel eines Admiral of the Fleet verliehen. Nach der Flottenschau
hielt der Prinz von Wales, nachmals König Eduard VII., während des
Bankettes eine Rede, in der die Sätze vorkamen: Der Deutsche Kaiser
habe die größte Flotte, welche England jemals in seiner Geschichte zu-
sammengebracht habe, besichtigt. In unserer Zeit müsse jedes Land auf
alle Möglichkeiten vorbereitet sein, und er, der Prinz von Wales, sei über-
zeugt, daß die große deutsche Armee und die britische Flotte dazu dienen
würden, den Frieden der Welt zu wahren! —
Einige Tage später nahm nach einer Manöverübung englischer Land-
truppen Kaiser Wilhelm Gelegenbeit, daran zu erinnern, wie in den
Schlachten bei Malplaquet und Waterloo preußisches und britisches Blut
für eine gemeinsame Sache vergossen worden sei. Das Organ des eng-