34 1. Abschnitt. Von Rußlanb zu Großbrilannien. 1387—1894.
trauen gegenübergestanden. Er richtete an Biemarck die Frage: „Et
Constantinople?“ Bismarck versicherte dem Zaren, daß die Reise nichts
bezwecke, nicht auf Anderung des Status quo im Orient ziele, damit schien
das Mißtrauen Zar Alexanders beschwichtigt. Deutscherseits wurde aus-
drücklich die Erhaltung der Türkei proklamiert. Zm selben Jahre folgte die
erste Konzession an eine deutsche Gesellschaft zum Bau und Betriebe ana-
tolischer Eisenbahnlinien Ismid-Angora, mit dem Vorzugerechte nach
Diarbekr und Bagdad. 1890 kam ein türkischer Handelsvertrag.
Die in jenen Jahren von Caprivi geschlossenen Handelsverträge
können hier nur in ihrer Wirkung nach außen kurz gestreift werden. Dem
Kanzler und dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Freiherrn
v. Marschall, schwebte das Ziel vor, mit der Wirtschaftspolitik, die sie
als nützlich für das eigene Land betrachteten, eine günstige politische Wir-
kung auf die uns politisch nahestehenden Mächte, vornehmlich ÖOsterreich-
Ungarn und Italien, zu verbinden. Diese Wirkung trat nicht ein. Zur
Abhängigkeit, in die Deutschland wirtschaftlich durch die Handelsverträge
von anderen Mächten gelangte oder zu gelangen drohte, trat das politisch
nachteilige Ereignis, daß diese, wie Bismarck sie nannte, „wirtschaftlichen
Trinkgelder“ die deutsche Stellung politisch schwächten und schwächen
mußten. Mit Rußland konnte man sich zunächst längere Zeit nicht einigen,
es kam zum Zollkriege, und in diesem gab Caprioi schließlich nach, obgleich
ersterer Rußland mehr schadete als Deutschland. Nachdem man den Han-
delskrieg einmal begonnen hatte, hätte er auch durchgeführt werden müssen.
Das Berhältnis zu Rußland konnte sich nach den Geschehnissen der
Jahre 1890 und 1891 nicht über die Atmosphäre äußerster Kühle erheben.
Den Besuch Kaiser Wilhelms in Narva hatte man in Rußland so aufge-
nommen und wohl auch dem Zaren diese Ansicht beigebracht: der Deutsche
Kaiser wolle nunmehr, nachdem er Rußland Großbritannien gegenüber
isoliert habe, es zum Aufgeben seiner neugewonnenen Beziehungen mit
Frankreich bewegen. Man kann nicht annehmen, daß Kaiser Wilbelm
gerade in jener ersten Maienblüte des Zweibundes geglaubt hätte, er
würde durch Anstreben eines solchen Zieles anders in Rußland wirken,
als verstimmend. Sein Ziel wird gewesen sein, freundliche Beziehungen
zu unterhalten oder wieder anzuknüpfen, wenn sie etwa eine Unter-
brechung erfahren hatten. Das persönliche Berhältnis der beiden Kaiser
ist einwandfrei nicht darzulegen. Nur das ist zweifellos, daß man mit
steigendem Erfolge versucht hat, auf dem Wege politischen und persön-
lichen Klatsches so viel Mißtrauen zwischen ihnen zu säen wie möglich.
Beide haben sich einander getäuscht, weil sie übereinander getäuscht worden
sind. Wie in Rußland eine starke Strömung vorbanden war, für die das
Bündnis mit Frankreicyh Krieg mit Deutschland bedeuten sollte, so gab es