48 1. Abschnitt. Von Rußland zu Großbritannten. 1887—1894.
zu erhalten. Bringe sie die Helgolandfrage ein, so werde sie wahrscheinlich
starke Opposition finden. Sobald die Berhältnisse aber günstig seien und
man deutscherseits über einen geeigneten AuSgleichsgegenstand verfüge,
werde man vorgehen.
Die Ereignisse der nächsten Jahre haben es dazu bekanntlich nicht
kommen lassen, aber diese unanfechtbaren Angaben zeigen auf alle Fälle,
daß der Erwerb der Insel schon unter Bismarck eingehend erwogen wor-
den war, auch auf seiten der Marineverwaltung. Letzterer mußte sich
die Frage geradezu aufdrängen, von dem Augenblicke an, wo der Bau
des Nordostseekanals beschlossen war (Baubeginn 1887). Durch diesen
Kanal wurde die Elbmündung nicht nur zum Alusfallstor für die deut-
schen Streitkräfte nach der Nordsee, sondern ebendeshalb zum Angriffs-
punkte für die Seestreitkräfte eines Feindes und damit zu einer überaus
gefährlichen Stelle, wenn nicht genügender Schutz vorhanden war. Eine
Macht, die Helgoland besaß und zugleich über eine starke Flotte verfügte,
war in gewissem Sinne Herrin des deutschen Nordostseekanals. Es ist
nichts Zuverlässiges darüber bekannt, aber an sich wahrscheinlich genug,
daß Prinz Wilhelm, später Kaiser Wilbelm II., der IZnsel Helgoland nicht
nur das „pretium affectionis“ zubilligte, sondern daß er den tatsächlichen
strategischen Wert der IZnsel erkannte. Kaiser Wilhelm hat gerade auf
maritimem Gebiete verschiedene Male bedeutenden Weitblick gezeigt.
Die ihm eigene Beharrlichkeit, mit der er den Gedanken festhielt, bis er
in der Lage war, ihn ausführen zu lassen, die Schnelligkeit, mit der er den
Erwerb der Insel durchsetzte, läßt darauf schließen, daß es sich für ihn
nicht nur um den Gefühlswert handelte. Die ungeheuere Wertsteigerung,
welche die Insel seit etwa einem Jahrzehnt erfahren hat, durch die neu-
zeitlichen Faktoren des Seekrieges: Unterseeboote, Luftfahrzeuge, die
neue Ara des Minenkrieges, die Funkentelegraphie — die konnte frei-
lich damals niemand voraussehen. Heute — darüber besteht längst kein
Zweifel mehr — ist uns Helgoland mehr wert als irgendein denkbares
Kolonialgebiet. Ein in fremden Händen befindliches Helgoland würde
für das jetzige und zukünftige Deutschland einen maritim und politisch
tatsächlich unerträglichen Zustand bedeuten. Ein englisches Helgoland
würde mit dem Anwachsen der deutschen Flotte und der Vervollständi-
gung der deutschen Küstenverteidigung entsprechend militärisch ausge-
staltet worden sein, heute eine gewaltige Festung und einen wohl aus-
gerüsteten Stützpunkt für Unterseeboote, Torpedoboote und Luftfahr--
zeuge bilden, eine unschätzbare Beobachtungs- und Signalstation, ein
Kohlendepot und einen Ankerplatz für britische Hochseegeschwader. Wir
hätten die britische Flotte mitten in unseren eigenen Gewässern, un-
mittelbar vor unseren Flußmündungen in Sicht der Küstenbefestigungen