haben, aber die Gefühle der Fürsten und der Bevölkerungen — man denke
an den Haß ın Bayern, in Sachsen usw. gegen alles, was preußisch war, man
denke auch an die konfessionell-politischen Treibereien, die mit dem Parti-
kularismus und mit Lügen über Religionsverfolgungen arbeiteten —, das
waren schwerwiegende politische Realitäten.
Die Befürchtungen der Bundesstaaten, auch der süddeutschen, ver-
schwanden während der weiteren Regierungszeit Bismarcks vollkommen.
Diese bewies ihnen fortlaufend ohne Ausnahme, daß Kanzler und Kaiser
der übernommenen Pflicht mit größter Gewissenhaftigkeit treu blieben, daß
das Verhältnis ein bundesmäßiges zu sein und zu bleiben habe. Bismarck hat
später gesagt: der preußische Partikularismus habe ihm am meisten zu
schaffen gemacht, sei ihm auch am schmerzlichsten gewesen.
Der Kanzler selbst war längst über die politische Frage des preußischen
Geistes und Ehrgeizes jener Zeit hinausgewachsen, aber seine preußischen
Standesgenossen konnten und wollten ihm zum größten Teil nicht folgen.
Sie hatten auch nicht die Absicht, wie Wilhelm I. es zu Versailles und
später noch mehr über sich gewann, die Größe des Reichsgedankens und die
in ihr liegende Verpflichtung für jeden der deutschen Stämme, auch für
Preußen, ja vor allem für Preußen, anzuerkennen. Natürlich ist nicht die
Rede davon, daß das ganze preußische Volk gegen das Reich gewesen wäre.
Die herrschende und mächtige grundbesitzende Kaste aber hielt allerdings
das Reich für ein demokratisches Flickwerk, zu dem zu gehören Preußen
eigentlich unwürdig sei, und der das alte Preußen zermürbe.
Eine sehr bezeichnende Äußerung des damaligen Reichskanzlers, des
alten Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe, sogar noch aus dem Jahre 1898 liegt
vor:
„Wenn ich so unter den preußischen Exzellenzen sitze, so wird mir der
Gegensatz zwischen Norddeutschland und Süddeutschland recht klar. Der
süddeutsche Liberalismus kommt gegen die Junker nicht auf. Sie sind zu
zahlreich, zu mächtig und haben das Königtum und die Armee auf ihrer
Seite. Auch das Zentrum geht mit ihnen. Alles, was ich in diesen vier Jahren
erlebt habe, erklärt sich aus diesem Gegensatz. Die Deutschen haben recht,
wenn sie meine Anwesenheit in Berlin als eine Garantie der Einheit ansehen.
Wie ich von 1866 bis 1870 für die Vereinigung von Süd und Nord gewirkt
habe, so muß ich hier danach streben, Preußen beim Reich zu erhalten.
Denn alle diese Herren pfeifen auf das Reich und würden es lieber heute als
morgen quifgeben.‘“
Hohenlohe hatte sich große Verdienste in der zweiten Hälfte der sechziger
Jahre in Bayern um die Einigung erworben und schon lange vorher in hohen
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