Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Vorläufer des Reiches, hatten sich die wirtschaftlichen Notwendigkeiten 
progressiv weiterentwickelt. Sie waren nicht nur dadurch dringender ge- 
worden, sondern vor allem durch die Notwendigkeit, dem Reiche als solchen, 
also abgesehen von den Einzelstaaten, Einkünfte zu schaffen. 
Im neuen Reich konnte Bismarck sich zunächst nur auf diejenigen Par- 
teien stützen, die seine Reichspolitik uneingeschränkt mitzumachen gewillt 
waren: die Nationalliberale Partei und die Reichspartei. Als Reichstags- 
präsident wurde gewählt derselbe Eduard Simson, der der Frankfurter 
Nationalversammlung präsidiert und Friedrich Wilhelm IV. die Kaiser- 
krone angeboten hatte; Simson war Jude. 
Diesen beiden Parteien gegenüber- beziehungsweise entgegenstanden die 
Konservativen und dasZentrum. Dieses war verstärkt durch die katholischen 
Polen und die Elsässer. Dann kam die Linke: die ‚‚Fortschritts‘‘partei und 
die Sozialdemokratie. Setzt man den Begriff des Reichs während jener Zeit 
gleich mit Bismarck, so ergibt sich — wie auch Bismarck sie klassifizierte — 
daß als reichsfeindliche Parteien anzusehen waren: das Zentrum, die 
Fortschrittsdemokraten, Polen, Elsässer und Sozialdemokraten. Die Kon- 
servativen waren in jener Periode in erster Linie Bismarck-Feinde, denn wie 
wir sahen, konnten sie nicht gegen den Deutschen Kaiser, der König von 
Preußen war, opponieren. Der Konflikt mit ihnen kam bereits 1868 im 
Reichstag des Norddeutschen Bundes zum Ausbruch. Bismarck versuchte, 
die konservative Fraktion zu gewinnen: 
„Es ist eine konstitutionelle Regierung nicht möglich, wenn die Re- 
gierung nicht auf eine der größeren Parteien mit voller Sicherheit zählen 
kann — auch in solchen Einzelheiten, die der Partei vielleicht nicht durch- 
weg gefallen —, wenn nicht diese Partei das Fazit ihrer Rechnung dahin 
zieht: Wir gehen im großen und ganzen mit der Regierung, wir finden zwar, 
daß sie ab und zu eine Torheit begeht, aber doch bisher weniger Torheiten 
brachte als annehmbare Maßregeln ; um deswillen wollen wir ihr die Einzel- 
heiten zugute halten.“ 
Dıe Mehrheit der konservativen Fraktion aber war anderer Ansicht, und 
nach 1870 verschärfte sich die Stimmung zwischen der Fraktion und dem 
Kanzler. Als 1872 die preußischen Konservativen gegen ein Schulaufsichts- 
gesetz gestimmt hatten, mußte Bismarck die Konsequenz ziehen und, um 
eine Mehrheit für die für notwendig gehaltenen Gesetze zu erlangen, sich an 
die Liberalen anlehnen: ‚‚Ich hielt die damalige Zeit bei den Gefahren, die 
unsere Kriege geschaffen hatten, die Unterschiede der Parteidoktrinen für 
untergeordnet im Vergleich mit der Notwendigkeit der politischen Deckung 
nach außen durch möglichst geschlossene Einheit der Nation in sich. Als 
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