Für seine Zeit hat, wie der Erfolg von 1870/71 bewies, Bismarck richtig
gerechnet: gelang es ihm, die Fürsten für das Deutsche Reich um den König
von Preußen als Kaiser zu einigen, so war das die Entscheidung; denn un-
zweifelhaft würden mit dem Entschluß der Landesfürsten deren ‚‚Unter-
tanen‘ ohne weiteres folgen: der eine Teil, derliberale, weil erden Gedanken
der deutschen Einheit und des Kaisers schon in der zweiten und dritten
Generation vertrat; der andere, der konservative Teil, weil seine Fürsten
sich dafür entschieden hatten. Ob der Fürst nun sah, daß ihm keine andere
Entscheidung übrigblieb, oder ob er dem Einheitsgedanken und der damit
verbundenen, recht weitgehenden Unterordnung ein wirkliches Verständnis
entgegenbrachte und daher zum Opfer bereit war — das Ergebnis war das
gleiche.
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Das Deutsche Reich wurde so gut wie allein von Bismarck geschaffen;
jedenfalls wäre es ohne ihn nicht geschaffen worden. Das unterliegt keinem
Zweifel, wird auch wohl in keinem 'Geschichtsbuch in Frage gestellt. ‚Bis-
marck einte die deutschen Stämme und schuf das neue Deutsche Reich nach
drei siegreichen Kriegen: der Väter Sehnsucht und unser Stolz!‘ wurde
schnell zum Gemeinplatz; genügte auch.
Nach den ungeheuren Ereignissen zwischen 1871 und 1940, nach dem Be-
ginn, dem Glanz und der Größe des Zweiten Reiches, nach dem Weltkrieg
und dem tiefen deutschen Fall, nach den fünfzehn Jahren der November-
republik, nach der deutschen Revolution, der Machtergreifung des National-
sozialismus und dem großen inneren und äußeren Aufstieg des Dritten, des
Großdeutschen Reiches — genügen aber solche kurze Feststellungen nicht
mehr. Unser Interesse für 1870 und dessen Vorgeschichte verlangt eine
tiefereEinsichtindie Grundlagen des Hohenzollernreichs.
Wollen wir heute die Entwicklung von 1871 bis 1914 auch nur im großen
Zuge beurteilen, so brauchen wir zum mindesten eine gewisse Kenntnis für
das Werden der Grundlagen des Reiches.
Die gleiche Notwendigkeit ergibt sich für das Verständnis der kompli-
zierten Politik, die Bismarck bis 1870 treiben mußte, und wie er zwingend
genötigt war, sein Spiel verdeckt zu halten. Er erzählt: während der ersten
Hälfte der sechziger Jahre habe König Wilhelm ihn bisweilen vorwurfsvoll
gefragt: „Sind Sie denn kein Deutscher ?‘“ Der König verstand die Politik
seines Ministerpräsidenten nicht. Dieser schildert, wie maßlos schwer es
König Wilhelm ankam, als Bismarck für notwendig hielt, daß Preußen aus
dem Bunde der dreißig Fürsten ausschiede, und wieviel es Bismarck kostete,
den König von der Teilnahme am Frankfurter Fürstentage abzuhalten.
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