Kronprinz, von durchaus edler Gesinnung, wie er war, Einflüssen von der
liberalen Seite gegenüber keinen Widerstand zu leisten imstande war. Was
würde dann sein, welche Gewähr war zu sehen, daß das große Werk: das
Reich, die nötige innere und äußere Festigkeit erhielt ? Wer würde da sein,
um das Werk nach denselben Gedanken und Willensrichtungen weiter zu er-
halten und zu stärken, die er, sein Schöpfer, als richtig erkannt und be-
folgt hatte ?
Wer die Reden des Kanzlers liest, wird von Jahr zu Jahr, seit 1871, eine
steigende, drängende, sich immer mehr mit Sorge erfüllende Unruhe be-
merken: die Sorge um die Zukunft des Reiches.
Man kann sich auch des Gedankens nicht entschlagen, daß diese Sorge
sich wesentlich auch auf die Entwicklung des parlamentarischen Lebens im
Reichstage zurückführte. Den Reichstag hatte sich Bismarck als eine der
stärksten Bindekräfte für einheitliche Entwicklung im neuen Reich gedacht.
Anstatt dessen wurde er in ununterbrochener Steigerung zu einem Element
der inneren Zersetzung. Dieses Gefühl und diese bitteren Ahnungen kommen
ergreifend und tragisch in einer Rede Bismarcks im Jahre 1885 zum Aus-
druck; es handelte sich um eine koloniale Vorlage. In einer vorhergehenden
Rede hatte der Kanzler das Wort eines Abgeordneten aufgegriffen: wenn
ein deutscher Völkerfrühling anbräche, dann fehle auch der Loki nicht, der
seinen Hödur finde. Dies wurde nicht verstanden, und so kam Bismarck in
der folgenden Rede darauf zurück:
„Dieser deutsche Völkerfrühling (in den Jahren vor und nach 1871) hielt
nur wenig Jahre nach dem großen Siege vor. Ich weiß nicht, ob der Mil-
liardensegen schon erstickend auf ihn gewirkt hat. (Dies ist die einzige An-
deutung Bismarcks, daß seiner Zukunftssorge die korrumpierende Wirkung
des großen Geldzuflusses nicht entgangen war.) Aber dann kam, was ich
unter dem Begriff ‚Loki‘ verstand. Der alte deutsche Erbfeind, der Partei-
hader — derin dynästischen und in konfessionellen, in Stammesverschieden-
heiten und in den Fraktionskämpfen seine Nahrung findet —, der übertrug
sich auf unser Öffentliches Leben, auf unsere Parlamente, und wir sind an-
gekommen bei einem Zustand unseres öffentlichen Lebens, wo die Regie-
rungen zwar treu zusammenhalten, im Deutschen Reichstage aber der Hort
der Einheit, den ich darin gesucht und gehofft hatte, nicht zu finden ist,
sondern der Parteigeist überwuchert uns; und der Parteigeist, wenn der mit
seiner Loki-Stimme den Urwähler Hödur, der die Tragweite der Dinge nicht
beurteilen kann, verleitet, daß er das eigene Vaterland erschlage, der ist es,
den ich anklage vor Gott und der Geschichte, wenn das ganze herrliche Werk
unserer Nation von 1866 und 1870 wieder in Verfall gerät und durch die
Feder hier verdorben wird, nachdem es durch das Schwert geschaffen wurde.“
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